Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mörderschiff

Das Mörderschiff

Titel: Das Mörderschiff
Autoren: Alistair MacLean
Vom Netzwerk:
wartete nicht länger. Das war eine alte Technik. Man sprach zu seinem Gegner, der höflich abwartete, bis man fertig war, und sich dabei nicht überlegte, daß man ihn in der Mitte eines gutformulierten Satzes schön ruhig niederknallen würde, während er sich irrtümlich in Sicherheit wähnte – genau in dem Moment, wenn er es am wenigsten erwartet. Nicht sehr fair, aber äußerst wirkungsvoll. Und ich hatte nicht die Absicht, so lange zu warten, bis ich die Wirkung zu spüren bekam. Ich war mir nicht ganz sicher, wie er mich angreifen würde, aber ich nahm an, daß es in Form eines Sprunges geschehen müßte, Kopf oder Füße voraus, und daß ich, wenn er mich erst einmal auf das Deck geworfen hätte, nicht mehr hochkommen würde. Jedenfalls nicht ohne Hilfe. Mit einem schnellen Schritt trat ich näher, richtete meine Taschenlampe auf sein Gesicht, sah, wie er einen kurzen Augenblick lang geblendet die Augen schloß, und wußte, daß dies der einzige Augenblick für mich war, einen Tritt anzubringen. Der Tritt fiel nicht so stark aus, wie er hätte sein können, da ich noch immer das Gefühl hatte, mein rechtes Bein wäre gebrochen. Er war auch wegen der Dunkelheit nicht ganz so gut gezielt. Aber den Umständen entsprechend konnte ich zufrieden sein. Er hätte eigentlich zusammenklappen und sich stöhnend vor Schmerz auf dem Deck wälzen müssen. Statt dessen stand er nach vorn gebeugt, bewegungslos und hielt sich mit den Armen fest. Er war Gott sei Dank doch nur ein Mensch. Ich konnte das Glänzen seiner Augen erkennen, aber nicht seinen Gesichtsausdruck, was vielleicht ganz gut war, denn ich glaube kaum, daß er für mich sehr schmeichelhaft gewesen wäre.
    Ich ging. Ich erinnerte mich, im Zoo von Basel einmal einen Gorilla gesehen zu haben, ein großes schwarzes Monstrum, das als leichte Fingerübungen schwere Lastwagenreifen in kleine Streifen zerriß. Ich würde mich lieber in dessen Käfig begeben haben, als noch an Deck zu sein, wenn dieser Bursche hier wieder richtig zu sich kommen würde. Ich humpelte nach vorn um die Ecke zur Funkstation, kletterte in ein Rettungsboot und streckte mich auf dem Boden flach aus.
    Die Männer, die sich in meiner nächsten Nähe befanden, einige von ihnen mit Taschenlampen, waren bereits am Fuß der Treppe angelangt, die zur Brücke heraufführte. Ich mußte ganz nach hinten laufen, um das Tau mit dem gummiüberzogenen Haken wieder zu erreichen, den ich heraufgeworfen hatte, um an Bord zu kommen. Aber das konnte ich nicht tun, bevor das Mitteldeck leer war. Und dann konnte ich es überhaupt nicht mehr. Jetzt, nachdem keine Notwendigkeit mehr zur Geheimhaltung und Verschwiegenheit bestand, hatte jemand die Ladelichter eingeschaltet, und das vordere Deck und das Mittelschiff waren in helles, gleißendes Licht getaucht. Eine der Bogenlampen auf dem Vorschiff hing an einem Lademast, kurz vor mir und genau über der Stelle, wo ich lag. Ich kam mir vor wie eine entdeckte Fliege an einer weißen Wand. Ich versuchte mich noch flacher auf den Boden zu legen, als ob ich ihn durchdrücken wollte.
    Sie waren jetzt die Treppe heraufgekommen und standen bei der Funkerkabine. Ich hörte plötzlich Stimmengewirr und Flüche und wußte, daß sie den verletzten Mann gefunden hatten. Ich konnte seine Stimme nicht hören und nahm an, daß er noch nicht in der Lage war, zu reden.
    Die kurze, gebieterische Stimme mit dem deutschen Akzent übernahm das Kommando:
    »Ihr gackert wie ein Haufen Hühner. Seid still. Jacques, hast du deine Maschinenpistole?«
    »Ich habe meine Pistole da, Käpt'n.« Jacques sprach ruhig und hatte eine zuverlässige Stimme, die ich unter bestimmten Umständen als erfreulich empfunden hätte. In meiner jetzigen Situation war sie weniger beruhigend.
    »Geh nach achtern. Stell dich vor den Eingang des Salons, sieh nach vorn und beobachte dabei das Deck des Mittelschiffes. Wir werden zum Vorderdeck gehen, in einer geschlossenen Linie das Schiff durchkämmen und ihn auf dich zutreiben. Wenn er sich dir nicht ergibt, dann schieß ihn in die Beine, ich will ihn lebend haben.«
    Mein Gott, das war schlimmer als der ›Peacemaker‹-Colt. Der konnte immerhin beim Abfeuern nur einmal treffen. Ich hatte keine Ahnung, was für eine Maschinenpistole Jacques hatte. Vielleicht feuerte sie bei jedem Anschlag zwölf oder mehr Schüsse ab. Ich bemerkte, wie sich der Muskel in meinem rechten Oberschenkel wieder zu versteifen begann, das wuchs sich langsam zu einer Reflexbewegung
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher