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Oben ohne

Oben ohne

Titel: Oben ohne
Autoren: Evelyn Heeg
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November 2005

    »Guten Morgen, Frau Heeg.«
    »Guten Morgen, Herr Professor Feller.«
    Er reicht mir die Hand und lächelt mich an: »Ich habe sehr gut geschlafen, falls Sie das beruhigt.«
    Ich muss auch lächeln. Das ist nicht die erwartete Begrüßung. Und tatsächlich kommt es ja wirklich nicht darauf an, wie ich die Nacht verbracht habe, sondern ob mein Chirurg erholt ist. Schließlich wartet jede Menge Arbeit auf ihn. Das bestärkt mich in meinem Vertrauen, dass alles gelingen wird.
    »Lassen Sie mich noch einmal kurz die Anzeichnungen sehen«, sagt der Professor.
    Ich stehe auf, um ihm die Linien auf meinem Körper zu präsentieren.
    »Alles in Ordnung. Die Schwestern werden Sie gleich nach unten bringen, und dann legen wir los.«
    Da gibt es nichts einzuwenden. Ich bin dankbar, dass die Warterei ein Ende hat. Ich habe erstaunlich gut geschlafen, die Nacht war also verhältnismäßig schnell vorbei. Und trotzdem ist alles sehr seltsam. Ich bin völlig gesund und liege hier in einem Münchner Krankenhaus. Auf mich wartet eine siebenstündige Operation.
    Draußen dämmert es gerade. Die Aussicht aus meinem Fenster ist hübsch: Blick auf den Garten. Man sieht ihm nicht an, dass er zu einem Krankenhaus gehört. Das Haus hat auch nicht den üblichen Geruch nach Desinfektionsmitteln. Das Zimmer mit seinen hohen Decken wirkt freundlich. Wir sind im Moment zu zweit hier drin. Meine Mitpatientin hat schon alles hinter sich. Sie wird heute entlassen. Irgendwo da draußen muss auch der Englische Garten sein. Ich wollte mir das eigentlich alles noch ein bisschen anschauen. Aber daraus wird jetzt nichts mehr.
    Die Schwester steht in der Tür: »Sind Sie startklar, Frau Heeg?«
    Ich glaube schon.
    »Sie müssen sich noch umziehen, und dann fahren wir Sie nach unten.«
    Warum fahren? Ich kann doch laufen. Aber ich verkneife mir die Bemerkung. Die Pflegerin hält mir das OP-Hemd hin, und ich schlüpfe aus meinem Nachthemd und dann in dieses ungeliebte Kleidungsstück. Damit möchte ich nun doch nicht durchs Haus laufen. Ich setze mich zurück ins Bett.
    »Sie können sich jetzt hinlegen, und dann fahren wir los.«
    Hinlegen? Da komme ich mir so hilflos vor. Außerdem hat man einen denkbar schlechten Ausblick. Sitzend wäre mir diese Fahrt angenehmer. Aber ich fange jetzt nicht an zu diskutieren.
    Ich strecke mich unter der Decke aus. Eine zweite Krankenschwester kommt herein, und die beiden setzen mein Bett in Bewegung. Wir passieren die Tür, und ich starre an die Decke des Krankenhausflurs, wo ab und zu eine Neonröhre vorbeizieht. Es ist gar nicht so einfach, das unhandliche und schwere Gefährt um die diversen Kurven zu bugsieren. Wir stoppen, und ich hebe kurz den Kopf, dann öffnet sich die Aufzugstür, und es geht hinab Richtung Operationssäle.
    Es ruckelt, wir sind da, hier herrscht eine andere Atmosphäre, das Licht ist heller, und natürlich wird es jetzt steril.
    »Sie müssen jetzt kurz umsteigen, Frau Heeg.«
    Das neue Bett wird von Menschen in Grün weitergelenkt. Ein anderer Grüner kommt dazu. Es ist der Anästhesist von gestern Abend. Hätte er das nicht gesagt, hätte ich ihn jetzt nicht erkannt. Aber das weiß er wohl. Er gibt mir noch ein paar beruhigende Worte mit, während er mir den Zugang legt. »So, jetzt wird es kurz piksen.«
    Ich habe keine Angst vor der Narkose. Auch die Operation schreckt mich nicht. So schlimm wie eine Chemo kann es nicht sein.
    Ich atme tief durch, jetzt muss ich mir darüber sowieso keine Gedanken mehr machen. Ich spüre die kalte Flüssigkeit in meinen Adern, und alles wird schwarz.

EINE SPUR DER VERNICHTUNG
    April 2003

    Autofahren war schon immer das beste Schlafmittel. Tino fährt, ich döse vor mich hin. Das ist unsere übliche Arbeitsteilung. Ich muss jeden Tag in der Woche fast 180 Kilometer pendeln, da bin ich froh, wenn am Wochenende mein Mann fährt. Der sitzt wiederum jeden Morgen und Abend im Zug und freut sich darauf, mal wieder selber lenken zu dürfen. In unserem alten mausgrauen VW Golf, einem Erbstück von Tinos Eltern, schnaufen wir das Höllental bei Freiburg hoch. Von den ursprünglich nicht gerade üppigen fünfzig Pferdestärken dieses Autos sind einige längst auf der Strecke geblieben. Das Höllental ist einer der spektakulärsten Einschnitte in der Westseite des Hochschwarzwaldes. Am Eingang des Tales windet sich die Straße zwischen dreißig, vierzig Meter hohen Felswänden. Danach öffnet sich das Tal etwas und steigt gleichmäßig an, bevor es
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