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Ein Traum in roter Seide

Ein Traum in roter Seide

Titel: Ein Traum in roter Seide
Autoren: Miranda Lee
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1. KAPITEL
    Als Michelle Mellor kurz nach sechs das Büro verließ, hatte sie die Glückwünsche ihrer Kollegen noch im Ohr.
    Sie war achtundzwanzig und seit fünf Jahren in der Werbe branche tätig. Jetzt stand sie vor einer ganz neuen Herausforde rung. Ihr Chef hatte sie zur Projektleiterin ernannt, und sie war vor Überraschung sprachlos gewesen. Der Entwurf für die Werbekampagne eines neuen Kunden sollte Mitte Mai fertig sein, und bis dahin waren es keine sechs Wochen mehr.
    Während sie mit dem Aufzug nach unten fuhr und das Gebäude verließ, breitete sich Besorgnis in ihr aus. Es stand noch gar nicht fest, dass Wild Ideas, die Werbeagentur, für die sie arbeitete, den großen Auftrag überhaupt erhalten würde. Es ging darum, das Image der Fertiggerichte von Packard Foods' Single-Serve mit einer guten Werbekampagne aufzupolieren. Und alles hing davon ab, wie der Kunde den Entwurf beurteilte, für den sie jetzt verantwortlich war.
    Gedankenverloren ging Michelle die Geschäft sstraße hinauf. Ich traue mir die neue Aufgabe zu, überlegte sie. In dem Moment stieß sie mit einer Frau zusammen, die an der Fußgängerampel auf Grün wartete.
    „Oh, Entschuldigung!" rief Michelle aus. Sie kannte die Blondine, die sich sogleich umdrehte, un d lächelte verlegen. „Es tut mir Leid, Lucille. Ich war in Gedanken ganz woanders."
    Lucille hatte Michelle die Wohnung verkauft und lebte selbst auch in dem Apartmentblock. Sie war Immobilienmaklerin, leitete jedoch seit einiger Zeit einen Umzugsservice. Sie organisierte die Umzüge von Managern und anderen Führungskräften, die von ihren Arbeitgebern aus dem In-und Ausland nach Sydney versetzt wurden.
    Sie war eine schöne Frau und perfekt gestylt. Wahrscheinlich hätte sie jeden Mann haben können, der ihr gefiel. Doch sie war ein gebranntes Kind, denn sie war, wie sie es ausgedrückt hatte, mit dem größten 1
    Chauvi aller Zeiten verheiratet gewesen. Seit
    ihrer Scheidung vor einigen Monaten hörte man sie nur noch sagen:
    „Ich hasse die Männer."
    Michelle vermutete, dass sie ihre Abneigung gegen Männer irgendwann überwinden würde. Mit dreißig war Lucille zu jung, um für immer allein zu leben. Die beiden Frauen waren Freun dinnen geworden und unternahmen viel gemeinsam.
    „Du hast offenbar wieder länger gearbeitet", stellte Lucille leicht vorwurfsvoll fest.
    Michelle warf einen Blick auf die Uhr. Es war zehn nach sechs. „Das musst du gerade sagen, du bist doch selbst ein Workaholic", erwiderte sie.
    Lucille zuckte die Schultern. „Es ist besser, zu arbeiten, als zu Hause herumzusitzen, Däumchen zu drehen und sich das Unmögliche zu wünschen."
    „Das Unmögliche? Du meinst wohl einen Mann, oder? Gib es zu, Lucille, du willst nicht wirklich für immer allein bleiben."
    „Nein, wahrscheinlich nicht." Lucille seufzte. „Aber ich will nicht noch einmal heiraten. Und irgendein Mann darf es auch nicht sein, sondern er muss Frauen wirklich mögen und leidenschaftlich und heißblütig sein. Einen Eisblock kann ich nicht ge brauchen. Außerdem muss ich für ihn wichtiger sein als seine Freunde, sein Golfclub und sein Superklassesportwagen."
    Michelle lachte. „Du hast Recht, Lucille, du wünschst dir das Unmögliche."
    Die Ampel schaltete auf Grün, und die beiden jungen Frauen überquerten die Straße. Dann gingen sie den Hügel hinunter nach Hause. Der Apartmentblock, in dem sie wohnten, hieß Northside Gardens, und kein Mensch wusste, warum. Das Einzige, was an einen Garten erinnerte, waren die Blumenkästen auf den Baikonen. Es war ein helles, dreigeschossiges Gebäude, das im Stil der fünfziger Jahre erbaut war. Die Treppe mit den sechs Stufen, die zum Haupteingang führte, war halbkreisförmig angelegt.
    Ehe man die zwölf Apartments vor einigen Jahren zum Verkauf angeboten hatte, waren sie aufwendig renoviert und modernisiert worden. Die Badezimmer waren gekachelt und die Ein bauküchen aus massiver Eiche. Innerhalb weniger Wochen hatte man alle 2
    Wohnungen verkauft. Sie waren relativ preiswert - vielleicht weil die Fassade des Hauses nicht besonders ansprechend wirkte und weil man keinen Blick auf den Hafen hatte. Aber die Lage im Norden von Sydney war geradezu ideal, besonders für Michelle und Lucille.
    Michelle war in zehn Minuten im Büro, und wenn sie sich beeilte, sogar in sieben.
    Michelle lebte momentan allein und hatte es abends nicht eilig, nach Hause zu kommen. Sie rechnete jedoch damit, dass Kevin früher oder später zurückkehrte. Sie
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