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Bitterer Chianti

Bitterer Chianti

Titel: Bitterer Chianti
Autoren: Paul Grote
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    Montag, 27. September
    Die beiden Männer kamen zielstrebig auf ihn zu. Frank ließ die Kamera sinken, duckte sich leicht und kniff die Augen zusammen, dann sah er sich um. Außer ihm war niemand hier, kein Mensch weit und breit, und der Weg aus dem Tal herauf in die Weinberge endete genau da, wo er jetzt stand – also konnten sie nur ihn meinen, obwohl ... er erinnerte sich nicht, diese Männer je gesehen zu haben.
    In ihren dunklen Anzügen sahen sie aus wie Geschäftsleute – möglicherweise Einkäufer oder Weinhändler, die sich an Ort und Stelle ein Urteil über die Qualität der Weinberge bilden wollten? Dass Spaziergänger sich in diese Einsamkeit verirrten oder von hier oben die Aussicht genießen wollten, wo die Feldwege in Wildwechsel übergingen, war ziemlich ausgeschlossen.
    Frank blickte über das satte Grün der Weinberge und die silbern schimmernden Olivenhaine, sein Blick blieb an den Zypressen hängen, die als dunkle Säulen den steinigen Weg unten im Tal säumten, der zur Kellerei von Niccolò Palermo führte. Dahinter zog sich Mischwald bis hinauf zum Kamm des nächsten Hügels. Weiter im Westen, wo inmitten längst gemähter Weizenfelder eine Landmaschine Staub aufwirbelte, neigte sich das Land der Ebene zu. Siena wäre erst von der nächsten Hügelkette aus in Sicht gekommen.
    Frank hielt sich für einen sehr guten Beobachter; ja, wenn er sich etwas zutraute, dann war es das genaue Hinschauen -nur beim Erkennen war er sich längst nicht mehr so sicher wie früher, als er mit dem Fotografieren begonnen hatte; statt sofort auf den Auslöser zu drücken, fragte er sich heute immer wieder, vielleicht zu oft, was eigentlich hinter der sichtbaren Oberfläche lag. Was also trieb diese Männer so entschlossen den Hügel hinauf? Die Typen wirkten wenig vertrauenerweckend, ein ungutes Gefühl beschlich Frank, er roch den Ärger förmlich ...
    Er hatte sie erst entdeckt, als sie aus ihrem Auto gestiegen waren, er hatte den großen Geländewagen vorher weder gehört noch gesehen. Wieder hob Frank die Kamera mit dem Teleobjektiv ans Auge – mit der 200er Brennweite, dem Konverter und einer Länge von mehr als 30 Zentimetern wirkte es wie ein Fernrohr: Die Gestalten erinnerten ihn an amerikanische Prediger, wie man sie durch europäische Großstädte hasten sah, immer einen einheimischen Helfer im Schlepptau. Abgewetzte Anzüge mit Namensschild am Revers, altmodische Aktentaschen in den Händen, schienen sie unbeirrbar ihrem Ziel zu folgen: Seelen für ihre Sekte zu fangen, und wenn sie die erst mal hatten, war es bis zum Bankkonto der armen Seelen auch nicht mehr weit.
    In ihrem Aufzug wirkten die beiden Männer grotesk, der leibhaftige Antagonismus zur Natur ringsum. Schwarze Anzüge, weiße Hemden, die Gesichter blass, um den Hals schwarze Krawatten wie zu einer Beerdigung – und um sie herum das blühende Leben: späte Sommerblumen in Gelb und Rot, blaue Glockenblumen im weichen, schmeichelnden Licht des Nachmittags und der nach Rosmarin und Lavendel duftenden Hitze. Bestattungsunternehmer? Nein, das war kein passender Vergleich, da war Prediger schon besser. Der Rechte war viel kleiner als sein großer Begleiter, dafür gedrungen, sehr sportlich, eine Kanonenkugel auf zwei Beinen, das Sakko zu eng für den Brustkorb, der Hals zu dick für den Kragen, aber der Mann war nicht fett, beileibe nicht – er schien fast nur aus Muskeln zu bestehen.
    Die Männer kamen näher, viel zu schnell für die Hitze des Nachmittags und die starke Steigung, und als sie so nah heran waren, dass er fast ihre Gesichter erkennen konnte, knapp zehn Meter mochten es jetzt noch sein, setzten beide, als hätten sie es eingeübt, gleichzeitig Sonnenbrillen auf. Die obligatorischen Ray-Ban Wayfarer ließen sie jetzt endgültig wie nahe Verwandte der Blues Brothers aussehen.
    Später versuchte Frank immer wieder, sich an ihre Gesichtszüge zu erinnern, aber es gelang ihm nicht, weder als er abends bei den Carabinieri seine Anzeige machte, noch als ihn der Commissario verhörte. Schwierigkeiten hatte er auch mit dem Alter der beiden. Sie mochten etwa so alt sein wie er selbst, Ende dreißig – oder älter? Kaum zu schätzen.
    Die Unbekannten erreichten den Kamm dieses Hügels, sie waren schneller heraufgekommen, als er es je geschafft hätte, und ohne außer Atem zu geraten. Jetzt waren sie mit Frank auf einer Höhe, ihre Schritte durchbrachen die Stille, Sand knirschte unter harten Sohlen, das stoßweise Atmen mischte sich mit
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