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Bitterer Chianti

Bitterer Chianti

Titel: Bitterer Chianti
Autoren: Paul Grote
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ihnen nicht schwer, Frank taumelte, rang verzweifelt nach Atem – da schlug der Große zu, rechts-links, blitzschnell, distanziert, sachlich und überlegen wie jemand, der in der Trainingshalle tausendmal auf einen Punchingball eingedroschen hat.
    Es knallte zweimal, so kurz hintereinander, dass Frank später nicht genau wusste, ob es ein oder zwei Schläge gewesen waren, der Kopf wurde nach hinten gerissen, sein Gehirn explodierte, die Wucht der Schläge warf ihn hintenüber, und er fiel und fiel... Verblüfft sah er die Landschaft an sich vorübergleiten, über ihm der Himmel, so blau wie das Meer unten an der Steilküste von Cinque Terre, unendlich und weich und so blau ...
    Seine Atmung funktionierte, aber der Mund war völlig ausgetrocknet, und als er schlucken wollte, ließ sich der Unterkiefer kaum bewegen. Man hatte ihn genau am K.o.-Punkt getroffen. Weshalb eigentlich? Warum um alles in der Welt hatte ihn dieser Drecksack geschlagen? Die Gedanken schlichen sich einzeln, langsam und leise in den Kopf zurück. Wer war das gewesen? Er hatte die beiden nie im Leben zuvor gesehen, sie weder beleidigt noch provoziert, er hatte niemandem etwas getan. Bei dem Gedanken, dass sie noch da sein könnten, erschrak er.
    Wie lange hatte er hier gelegen? Frank blinzelte, das Licht war grell, es tat in den Augen weh, aber er musste wissen, ob sie noch da waren. Er fühlte sich nicht in der Lage, sich aufzurichten, aber soweit er im Liegen sehen konnte, waren sie zumindest aus der unmittelbaren Umgebung verschwunden. Oder warteten sie unten am Wagen? Kraftlos ließ er den Kopf sinken und schloss die Augen. Dieser Zustand zwischen Schlaf und Wachen war schön. Wenn nur der verfluchte Durst nicht wäre ...
    Weshalb waren sie auf ihn losgegangen, und dann gleich so brutal? Er hatte sie lediglich durchs Teleobjektiv beobachtet. Was war mit der Kamera? Wieso liefen die Typen in ihren Anzügen mitten durch Niccolò Palermos Weinberge? Die Fragen schossen ihm durch den Kopf. Antworten darauf fand er nicht, aber die Trockenheit im Mund war schlimmer als offene Fragen, außerdem wurde ihm übel. Benommen rollte er sich auf die Seite und starrte vor sich hin.
    Eine Eidechse lief kurz vor seinem linken Auge vorbei. Sie war unterhalb der Augenbraue in sein Gesichtsfeld getreten, lief über helle Erdbrocken in Richtung Nase, änderte die Richtung, kam zurück. Er fürchtete schon, die Hand heben zu müssen, um sie zu verscheuchen, aber dann verschwand sie hinter welken Grashalmen, und er fühlte sich verlassen. Während er mit einem Gefühl, als ob sein Kopf in Watte gepackt wäre, dalag, machte er den Mund vorsichtig auf und zu. Der Kiefer klemmte wie ein rostiges Scharnier. Nach einigen Versuchen klappte es einigermaßen, nur die seitliche Bewegung des Unterkiefers tat grauenhaft weh, und wenn er sich aufrichten wollte, den Kopf nur ein wenig hob, bohrten sich Nadeln ins Gehirn. Wie hielten Boxer solche Schläge aus?
    Der Durst wurde unerträglich, unten im Wagen war Wasser, in der Kühlbox, er hatte heute Morgen einige Flaschen gekauft. Er musste runter, musste trinken, sonst würde binnen kurzem die Mundschleimhaut einreißen, sie fühlte sich bereits an wie von Dürre aufgerissene Erde.
    Da entdeckte er wenige Meter vor sich, halb verdeckt vom Gras, ein schwarzes Etwas zwischen welken Gräsern, matt schimmernd an einigen Stellen wie Gefieder – ein toter Vogel? Als Frank erkannte, was da lag, stöhnte er gequält auf: Es war die Kamera mit dem Teleobjektiv. Der Kopfschmerz war vergessen, kein trockener Mund mehr, Frank kroch in Panik darauf zu. Sie hatten sie total demoliert! Wie eine platt gefahrene Schlange lag der herausgerissene Film daneben.
    Der Schneidersitz war im Moment die einzig erträgliche Sitzposition, und er begann, seine Gliedmaßen danach zu organisieren. Die Kamera nahm er wie ein kleines krankes Tier auf den Schoß. Der Anblick machte ihn traurig. Er mochte Kameras, konnte sich dafür begeistern wie jeder Handwerker für gutes Werkzeug. Seine Bewunderung optischer Geräte war natürlich größer als die eines Mechanikers für seinen Schraubenschlüssel, doch ging sie nicht so weit wie bei einigen Kollegen, die ihre Fotoapparate regelrecht anbeteten. Statt durch den Sucher zu blicken und die Welt in Rechtecke einzuteilen, schaute er lieber mit den eigenen Augen. Aber -von irgendwas musste er leben, er konnte nichts anderes als Fotografieren, und es war für ihn die angenehmste Art, Geld zu verdienen.
    Und jetzt?
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