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Bitterer Chianti

Bitterer Chianti

Titel: Bitterer Chianti
Autoren: Paul Grote
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sich nicht zu sorgen, im Kühlschrank seines Hotelzimmers lagen noch genug neue Filme.
    Frank ließ die Ausrüstung erst einmal liegen, zum Einsammeln war immer noch Zeit, und schlich missmutig den Weg hinab, wobei er tunlichst jede Erschütterung des Kopfes vermied. Beim Wagen angekommen, stellte er fest, dass einem Reifen die Luft fehlte. Wenigstens nur einem, dachte Frank, holte eine Flasche Wasser aus der Kühlbox und trank sie in einem Zug leer. Dann nahm er die nächste, trank die Hälfte und ließ sich den Rest über Kopf und Nacken laufen.
    Hatten sie nur die Luft aus dem Reifen gelassen oder auch die Decke durchstochen? Auf jeden Fall musste der Reifen gewechselt werden. Was sollte das Ganze? Hatte er in den letzten Tagen eine Aufnahme von jemandem gemacht, der nicht fotografiert werden wollte, oder versehentlich militärische Einrichtungen aufgenommen? Kaum anzunehmen, dass sich Carabinieri so verhielten, höchstens Geheimpolizisten, doch die gingen unauffälliger vor.
    Frank erinnerte sich an ein ähnliches Erlebnis zu Zeiten des Kalten Krieges. Er hatte gerade mit dem Fotografieren angefangen und war in die Nähe eines Sperrgebietes geraten. Militär überall, Manöver – eine Streife der britischen Rhine Army hatte ihn trotz Presseausweis festgenommen, Offiziere hatten ihn mehrere Stunden lang verhört und ihn schließlich den Feldjägern übergeben, die ihn rasch wieder hatten laufen lassen. Er war harmlos, ein Nachspiel hatte es nicht gegeben, aber sie hatten ihn wohl für alle Ewigkeit registriert, in irgendein Raster würde er bestimmt passen. Aber niemand hatte ihn misshandelt.
    Frank schüttete sich wieder Mineralwasser über den Kopf, das Kribbeln der Kohlensäure auf der Kopfhaut ließ ihn endlich wieder klar werden, und er machte sich ans Einsammeln der Trümmer, überprüfte die anderen Kameras – sie waren intakt und nur leicht verschmutzt, die Objektivdeckel hatten Erde und Staub von den Linsen fern gehalten. Er suchte die Kleinteile zusammen, die Druckluftpatrone zum Reinigen der Kameras, Filter, Batterien, Blitzgerät, Schraubenzieher, die winzige Taschenlampe, all das Zeug, das er mit sich herumschleppte. Es würde eine lange Nacht werden, alles wieder in Schuss zu bringen. Aber die F5 war ein Totalschaden! Er musste zur Polizei, sie würde wohl kaum nach den Tätern suchen, geschweige denn sie finden, jedoch ohne Protokoll würde ihm die Versicherung die Kamera nicht ersetzen. Gab es in Castellina überhaupt ein Kommissariat?
    Was hatten die Prediger für ein Kauderwelsch gesprochen? Englisch? Italienisch? Beides, mal so, mal so, Englisch und Italienisch mit amerikanischem Akzent. Ihre Wortwahl war völlig korrekt gewesen, aber der amerikanische Akzent unüberhörbar. Seltsam ...
    Die Schatten wurden länger, der Nebel verdichtete sich, das Blau des Himmels verblasste. Sosehr Frank sonst diese Tageszeit genoss, zum einen wegen der Stille, aber mehr noch wegen des schmeichelnden, flach einfallenden Lichts, das allem die Härte nahm, Konturen verlieh und die Perspektiven betonte – heute berührte es ihn nicht. Mit brummendem Schädel machte er sich an den Reifenwechsel.
    Drüben auf der Azienda rührte sich nichts. Kein Wagen war gekommen, niemand hatte die Kellerei verlassen, außer Vogelgezwitscher und dem Wind in den Bäumen war nichts zu hören.
    Die Fototermine morgen würde er absagen müssen. Einen Ersatz für die F5 zu beschaffen war wichtiger, wenn er diesen Kameratyp überhaupt in Florenz finden würde, sonst müsste er nach Rom – das ließe sich vielleicht telefonisch klären – oder mit den beiden alten Kameras Weiterarbeiten. Hoffentlich bekam er Filter in der richtigen Größe, er brauchte sie, denn in dieser Jahreszeit lag viel Dunst in der Luft. Einen Arbeitstag musste er für die Besorgungen einkalkulieren, ein verlorener Tag, den ihm niemand bezahlen würde. Bereits jetzt grauste ihm vor der Rennerei durch die Fotoläden, und das im völlig überfüllten Florenz.
    Siedend heiß fiel ihm ein, dass er um 21 Uhr mit Giacomo Paese zum Essen verabredet war. Er würde vielleicht eine Minestrone löffeln können – bloß nichts zum Kauen –, Polenta wäre weich genug, mit irgendeiner Soße, aber da gab es meistens Fleisch dazu. Ein Risotto mit Steinpilzen oder Meeresfrüchten wäre auch nicht schlecht ... Ach, eigentlich war es viel zu schade, in diesem Zustand die Einladung anzunehmen. Er kannte Paese nicht, aber die wenigsten italienischen Winzer waren knauserig,
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