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Bitterer Chianti

Bitterer Chianti

Titel: Bitterer Chianti
Autoren: Paul Grote
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keiner ließ sich lumpen, dazu tafelten sie selbst viel zu gern. Doch je länger Frank darüber nachdachte, ob er die Einladung annehmen oder absagen sollte, desto mehr verging ihm der Appetit. Er würde nichts genießen können, der Schreck saß ihm in den Gliedern.
    Und es gab noch eine Hürde: Irgendwie musste er ungesehen an der Frau des Hotelbesitzers und ihrer Tochter vorbeikommen. Bestimmt lauerte ihm eine von ihnen wieder im Foyer auf, um ihn zu beschwatzen.
    Auf der Azienda blieben die Fenster weiterhin dunkel, weder über dem Hoftor noch der Haustür wurde eine Laterne eingeschaltet, kein Laut. Das Anwesen machte einen verlassenen Eindruck. Da war das zweistöckige Haupthaus, wo der Winzer wahrscheinlich mit seiner Familie lebte, wenn er nicht auch noch eine Stadtwohnung besaß, wie viele seiner Kollegen. Links drängte sich ein weiteres Gebäude gegen das Wohnhaus, quer dazu lagen die ehemaligen Stallungen oder irgendetwas Ähnliches. Rechts schloss ein großer Schuppen an und am Rand zwei weitere – Werkstatt und Geräteschuppen? Alle Häuser waren miteinander verbunden und stützten sich gegenseitig wie in einem mittelalterlichen Dorf. Nur die neue flache Halle gegenüber dem Haupthaus störte diesen Eindruck. Sie verlief parallel zum Hang und schien in den Berg hineingebaut zu sein, ähnlich wie bei anderen Weingütern. Frank vermutete dort die Keller; tief im Fels, da lagen die Fässer und Flaschen.
    Aber wieso standen die Autos im Hof, ein Fiat und ein Pick-up, wenn niemand da war? Doch viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um dieser Frage weiter auf den Grund zu gehen, verstaute er den kaputten Reifen und den Wagenheber und packte seine Fotoausrüstung ein.
    Während er langsam auf dem steinigen Weg durch den Wald in Richtung Landstraße zurückfuhr, versuchte er sich immer wieder die Gesichter der beiden Männer vorzustellen. Ihm kamen dabei abermals die Blues Brothers in den Sinn, Szenen aus dem Film, den er zweimal gesehen hatte. Diese Bilder überlagerten die Erinnerung an die Wirklichkeit, und den Gesichtern der beiden Männer hatte jeder Ausdruck gefehlt.
    Wie anders waren da die Gesichter der Winzer, die Frank seit einigen Tagen fotografierte, die Charakterköpfe der Landarbeiter und Bäuerinnen mit den Spuren eines gelebten Lebens: Furchen, Runzeln, Lach- und Sorgenfalten, sympathische Krähenfüße in den Augenwinkeln, Gesichter wie zerknittertes Pergament, Leder oder Olivenholz, Gesichter voller Ernst und Freude am Leben.
    Auf der Landstraße, die irgendwann asphaltiert werden sollte, begann das Bild der beiden Schläger zu verblassen. Vor Vagliagli bog er scharf links ab und nahm die steile Steigung durch den Wald über den Höhenzug. Eigentlich konnte man es kaum eine Straße nennen, und er wurde so heftig durchgeschüttelt, dass er jede Bodenwelle spürte, bis er schließlich um jedes Schlagloch kroch. Kurz vor der Chiantigiana lagen etruskische Gräber links oben im Wald, zumindest sagten es ein Wegweiser und die drei roten Punkte auf der Straßenkarte. Ansehen müsste er sich die Stätte zumindest, vielleicht ein lohnendes Objekt zur Illustration des Weinführers? Links unten kam Castello di Fonterùtoli in Sicht, Fons Rutolae in der römischen Epoche; auch diese Kellerei stand auf seinem Programm. Legendär geradezu sollten die dortigen Weine sein, Chianti Classico von der elegantesten Art, wie der Gambero Rosso behauptete, Italiens wichtigster Weinführer, der sie mit drei Gläsern bewertet hatte. Aber ob die Weine tatsächlich so großartig waren, entzog sich Franks Kenntnis.
    Fonterùtoli war längst keine Festung mehr, mit Graben und Wall, eher eine Ansammlung einstmals befestigter Häuser, sehr romanisch, mit eigener Kapelle an dem nach Südwesten ausgerichteten Hang. Alle Siedlungen weitab der Städte waren früher befestigt, denn zwischen Florenz und Siena hatten die Heere der Stadtstaaten sich gegenseitig alle naslang die Schädel eingeschlagen.
    Das Brummen in seinem Kopf erinnerte ihn unangenehm daran. Doch eine Pause konnte er sich nicht leisten, nicht einen Tag. Jede Stunde zählte. Jeder Tag, den er länger brauchte, kostete ihn Geld, und davon hatte er nicht eben viel.
    Frank parkte oberhalb von Fonterùtoli, um sich die Örtlichkeiten einzuprägen. So wusste er, wann die Sonne richtig stand, und er brauchte nicht lange nach den richtigen Positionen für seine Bilder zu suchen. Er hatte bereits viele Stunden vergeudet, bis er die häufig versteckt liegenden
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