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Bitterer Chianti

Bitterer Chianti

Titel: Bitterer Chianti
Autoren: Paul Grote
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Weingüter gefunden hatte, und seitdem machte er sofort eine Skizze, wenn er an einem Objekt vorbeikam, das er in den nächsten beiden Wochen abzuarbeiten hatte.
    Mit welcher Kamera? Er hatte die beiden anderen Nikons und die kleine Autofocus mit dem 35-mm-Objektiv, eine Polaroid für Stillleben und Porträts, aber ohne die F5 fühlte er sich wie jemand, der barfuß über Steine laufen muss. Wenn es die Männer auf die Filme abgesehen hatten, waren dann nicht auch die anderen in Gefahr, die er im Hotelzimmer im Kühlschrank verwahrte? Er musste sie in Sicherheit bringen, am besten schickte er sie gleich morgen ans Labor in Hamburg. Wenn er sich dann allerdings Kontaktbögen kommen ließ, würde das die Sache erheblich verteuern.
    Gewaltsam verbannte er die Überlegungen aus dem ohnehin schmerzenden Kopf und beendete die Skizze. Über das Wetter brauchte er sich nicht allzu viel Sorgen zu machen, Ende September war es relativ beständig, obwohl die Feuchtigkeit zunahm, Nebel konnte aufkommen, mit Regen jedoch war der großräumigen Wetterlage nach kaum zu rechnen. Für den Wein war das ideal, die Winzer waren mit diesem Sommer und auch dem Herbst mehr als zufrieden.
    Frank wendete und fuhr auf der Chiantigiana zurück. Sie verband Florenz mit Siena und führte in Nord-Süd-Richtung mitten durch das Kernland des Chianti Classico. Kein Tag, an dem er sie nicht benutzte, kreuzte oder zumindest tangierte. Rechts und links dieser Straße wurden jene Flaschen abgefüllt, die später eine rosa Banderole mit der Aufschrift Chianti Classico DOCG bekamen.
    Es ging bergauf, Castellina lag vor ihm in knapp 600 Meter Höhe noch immer im Licht, während sich Schatten zwischen die Berge legten, und erste Sterne zeigten sich am wie frisch geputzten Himmel, so schön, dass es fast kitschig wirkte. Sollte er Niccolò Palermo gleich vom Hotel aus anrufen? Frank tastete nach dem Handy in der Brusttasche der Fotoweste, die er über dem Polohemd trug. Das Ding war nicht ... o nein, wo war das Handy? Verdammt ... Er trat hart auf die Bremse. Hinter ihm quietschte es, jemand hupte wie wild und überholte, Frank erkannte die eindeutige Geste des Alfa-Romeo-Fahrers, aber es interessierte ihn nicht. Wichtig war das verschwundene Handy.
    Im Fotokoffer war es nicht gewesen, nicht auf der Ladefläche – vielleicht im Handschuhfach? Nein, auch nicht. Er stieg aus und durchsuchte den Fotokoffer noch einmal, obwohl er ihn nach seinem strengen Ordnungsprinzip wieder eingeräumt hatte. Jede Linse hatte ihren Platz, jedes Objektiv lag griffbereit, damit er sich auch in absoluter Dunkelheit sofort zurechtfand. Dann konnte das Telefon nur oben auf dem Berg liegen ...
    Wenn Christine anrufen würde? Frank blickte auf, bald würde es dunkel sein, zu dunkel, um da oben nochmal zu suchen. Seine Tochter konnte er doch auch vom Hotel aus verständigen. Außerdem brauchte er dringend ein Bad und eine Kopfschmerztablette. Morgen früh würde er suchen, am besten, bevor er nach Florenz fuhr. Außerdem konnte er dann mit Niccolò Palermo einen neuen Termin für die Aufnahmen vereinbaren. Vielleicht wusste der Winzer, was es mit dieser erschreckenden Begegnung auf sich hatte.

2
    Montag, 27. September
    «Dio mio! Mein Gott, wie sehen Sie denn aus?» Laura schoss von ihrem Platz vor dem Fernsehapparat im Foyer hoch. So schnell, wie es die hochhackigen Schuhe zuließen, trippelte die Tochter des Hotelbesitzers auf Frank zu. «Was ist mit Ihnen passiert?» Entsetzt riss das Mädchen die Augen auf.
    Viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, war Frank gar nicht auf die Idee gekommen, dass man seine Blessuren sehen konnte. «Ich bin gestürzt, abgerutscht, beim Fotografieren, oben in den Bergen.» Die Ausrede war nicht sehr originell, aber sich eine bessere zu überlegen hielt er nicht für nötig. Wie schlimm sah er aus? Er brauchte einen Spiegel.
    Ob Lauras Bestürzung tatsächlichem Mitgefühl entsprang – etwas plump wirkte es allemal –, interessierte Frank nicht im Geringsten, im Gegenteil. Sie ging ihm entsetzlich auf die Nerven. Er hatte gehofft, ungesehen an ihr vorbeizukommen, den Schlüssel zu nehmen und sich auf sein Zimmer zu schleichen, aber Laura passte ihn ab, sie verfolgte ihn, seit sie wusste, welchem Beruf er nachging.
    «Signor Gaaato ...», sie zog seinen Nachnamen absichtlich in die Länge, sie fand ihn «süß», denn Gatow klang wie das italienische Wort für «Kater», «... Sie brauchen Hilfe! Haben Sie Schmerzen?»
    Nur wenn ich dich sehe,
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