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Bitterer Chianti

Bitterer Chianti

Titel: Bitterer Chianti
Autoren: Paul Grote
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Kellerei stand, die Tradition – und nicht dessen Frau, höchstens beide gemeinsam, wenn es ein interessantes oder hübsches Paar war, aber die Sekretärin mit der kalten Stimme hatte den Hörer bereits zur Seite gelegt. Frank hörte, wie sich ihre Schritte vom Telefon entfernten, jemand wurde gerufen, es hörte sich nach großen Räumen mit hohen Decken an, so sehr hallte es. Dann vernahm er Schritte, kurz und energisch, zuerst auf Steinboden oder Parkett, genau ließ sich das nicht unterscheiden, danach gedämpft auf einem Teppich:
    « Pronto? Sie wünschen?»
    Frank zögerte – diese Stimme hatte er nicht erwartet. Sie klang so energisch wie der Schritt, war dabei durchaus verbindlich und trotz aller Entschiedenheit sehr warm. Frank entschuldigte sich, dass er den Termin morgen nicht wahrnehmen könne, der mit ihrem Mann abgesprochen worden war.
    «Die Verabredung hat das Consorzio mit mir getroffen», sagte die Signora entschieden und wirkte verärgert. «Ich führe das Weingut, nicht mein Mann! Die Tenuta Vanzetti firmiert zwar unter seinem Namen, aber für den Wein – wie für alles, was hier passiert, bin ich verantwortlich, Signore!»
    Jetzt wusste Frank Bescheid. Mit der Ehe der Vanzettis schien es nicht zum Besten bestellt.
    Je näher Frank den Menschen kam, ob mit Weitwinkel oder Teleobjektiv, je mehr er seiner Devise folgte: «Rangehen, noch näher – ja, und dann noch einen Schritt», desto deutlicher zeigten sich die Unreinheiten der Haut unter der Schminke, zugeschüttete Abgründe, verkleisterte Widersprüche und tödliche Langeweile, auf Gesichtern und in Wohnzimmern. Das war ihm oft gar nicht recht, denn er verstand sich als Fotograf und nicht als psychologischer Enthüller. Er wollte Bilder machen, weiter nichts.
    «Ihr Kollege, der deutsche Journalist...»
    «Signor Steinhauer ...»
    «Esattomente. Signor Steinhauer hat sein Interview mit mir geführt. Das hätte er Ihnen eigentlich mitteilen müssen.»
    Ein schönes Fettnäpfchen. Frank merkte, wie sein Fuß wippte, ein Zeichen, dass er nervös wurde. War sie ungehalten, weil man nur dem Ehegatten die Führung der Kellerei zutraute? Konkurrierten die beiden, stritten sie um den Besitz? Wer weiß schon, was hinter den pittoresken Mauern toskanischer Landhäuser abläuft, dachte Frank, und sein Blick fiel auf das Foto des Castello di Brolio an der Wand gegenüber. Gestern hatte er es fotografiert – nur von außen, die gewaltigen Mauern. Die Innenräume im Stil Siener Neugotik hatte man ihm vorenthalten – es wurde renoviert. Andererseits hatte natürlich niemand gern Fremde im eigenen Wohnzimmer, schließlich wohnte die Familie des Grafen Ricasoli dort.
    Wie konnte er sich jetzt bei Signora Vanzetti elegant aus der Affäre ziehen?
    Die Winzerin nahm ihm die Entscheidung ab. «Mir ist es recht, wenn Sie morgen nicht kommen. Auch übermorgen habe ich keine Zeit, da findet eine wichtige Verkostung in Siena statt. Sie sehen, ich bin sehr beschäftigt. Zum Wochenende wäre es mir lieber, va bene?»
    «Selbstverständlich, Signora, molto piacere , ganz wie Sie wollen, sagen wir ...»
    «... am Samstag um sieben Uhr dreißig», unterbrach sie. «Schön, bis dann – ach, wie war Ihr Name?»
    «Gatow, Frank Gatow...»
    Signora Vanzetti schwieg einen Moment verdutzt, sie schien sich über seinen Namen zu amüsieren, jedenfalls interpretierte Frank ihr Schweigen so. Immer diese blöde Katze. Dabei war das Tier nicht einmal sein animalisches Alter Ego, das war im chinesischen Horoskop die Schlange und ansonsten der Widder – impulsiv und unfähig, auf den Rat anderer zu hören. Dann fuhr Signora Vanzetti fort: «Verstehen Sie etwas von Wein, Signore?»
    Frank zuckte. So direkt hatte ihn das noch kein Winzer gefragt. Er wusste nicht, was die Signora mit der Frage bezweckte, und wurde verlegen. «Nein. Ich trinke zwar gern ...»
    «Va bene , dann weiß ich Bescheid. Also, bis Samstag, arrivederci.» Ohne seine Bestätigung abzuwarten, legte sie auf.
    Frank saß mit offenem Mund vor seinem Terminkalender. Diese Signora war keinen Widerspruch gewohnt. Hielt sich der Gatte deshalb in Milano auf?
    Frank stieg langsam die Treppe hinauf, eine Hand am Geländer. Das intensiv gemaserte Kastanienholz der Stufen faszinierte ihn heute lange nicht so wie in den vergangenen Tagen. Auch für die Bruchsteine des vierhundert Jahre alten Hauses und das rustikale antike Mobiliar hatte er keinen Blick. Auf halber Treppe erinnerte er sich an den Termin mit Niccolò Palermo
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