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Der Fall Zamar (German Edition)

Der Fall Zamar (German Edition)

Titel: Der Fall Zamar (German Edition)
Autoren: Ute Maak
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1.
     
    Eine gewaltige Explosion auf der staubigen Hauptstraße von Haditha riss sie vor einer halben Stunde aus dem Schlaf, die ersten Sonnenstrahlen drangen durch die Vorhänge in das Zimmer. Seitdem saß sie in dem großen Kleiderschrank, das Nachthemd über die angehockten Knie gezogen. Immer wieder hörte sie die Schreie ihrer Geschwister und ihrer Eltern in dem Zimmer nebenan. Sie verstand nicht, was die amerikanischen Soldaten mit hasserfüllten Stimmen schrien. Eine Salve aus einem Maschinengewehr beendete das Geschrei. Schwere Stiefel polterten auf dem Flur.
    Deutlich hatte sie ihr Zuhause vor Augen. Der karge Flur war hellblau getüncht, das Elternschlafzimmer, wo noch 2 ihrer Geschwister ihre Bettstatt hatten, farbenfroh in sattem Rot, Gelb und Blau gehalten. In dem flachen Haus gab es nur altes Mobiliar. Selbst einen alten Fernsehapparat besaß ihre Familie, auch wenn Strom im Irak nur in wenigen Stunden des Tages floss. Sie hatte ein Bild noch im Gedächtnis: Die Männer des Hauses versammelten sich vor dem Fernseher und verfolgten gespannt die neuesten Nachrichten.
    Das Flehen ihrer Großeltern um Gnade wurde nicht erhört, sie hätten nichts Unrechtes getan. Schüsse aus einer Pistole beendeten das Klagen. Das Herz schlug ihr wie wild. Ihr vier Jahre alter Bruder Abdulla, mit dem sie sich das Zimmer teilte, hatte sich unter seiner Decke versteckt. Alle kleinen Kinder fühlen sich sicher, wenn sie sich unter der vertrauten Schlafdecke verkriechen können. Die Tür wurde aufgerissen. Nach lauten Befehlen flogen mehrere Kugeln aus einer Maschinenpistole durch den Raum. Der Schrank, in dem sie saß, wurde oberhalb getroffen. Sie zitterte vor Angst, gab aber keinen Laut von sich. Die Männer zogen weiter zum nächsten Zimmer, wieder Angstschreie, wieder eine MP-Salve, dann war Ruhe. Gedämpft vernahm sie dann Schreie und Schüsse aus dem naheliegenden Nachbarhaus.
    Später stand sie an dem Bettchen von Abdulla, still liefen ihr die Tränen übers Gesicht. Sie nahm den leblosen kleinen Körper aus den tiefrot getränkten Betttüchern. Sie wanderte durch alle Räume, sie wusste, was sie vorfinden wird. Ihre Hoffnung von ein wenig Leben wurde mit jedem Schritt geringer. Ihre Großeltern saßen tot in ihren Sesseln. Mutter und Vater, die noch schützend über ihren toten Geschwistern Raja und Ali lagen, waren ebenfalls hingerichtet. Ihren Bruder fest an sich gedrückt, ging sie auch noch in das Schlafzimmer von ihrem Onkel und dessen junger Frau. Ihr Onkel lag vor dem Bett in einer Blutlache. Ob es ihre Tante war, die dort auf dem Bett niedergestreckt wurde, konnte sie nicht mehr erkennen, so sehr hatte man sie zugerichtet. Eine blutige Fleischmasse lag auf der Matratze, zerfetzt von MP-Geschossen. Gehirnmasse und Blut klebte ringsum an den Wänden.
    Schweißgebadetet schreckte Madea auf, ihre langen schwarzen Haare waren zerzaust. In der Dunkelheit, die durch schwache Lichter von der Straße her unterbrochen wurde, setzte sie sich in ihrem Bett auf. Nach kurzer Orientierung erinnerte Madea sich wieder, wo sie war, im Zimmer eines Studentenwohnblocks auf dem Campus der Emory-Universität. Der gedämpfte Nachtlärm von Atlanta drang durch das offene Fenster. Immer wieder mal schwirrten ihr diese Bilder durch den Kopf, so sehr beschäftigte sich ihre Seele mit dem einschneidenden Ereignis vor acht Jahren.
    Madea war allein. Maggie Winter, mit der sie sich das Zimmer teilte, fuhr an den Wochenenden oft zu ihrer Verwandtschaft. Der Raum war klein, links und rechts des Fensters stand je ein Bett und ein hoher Schrank. Normal hätten sich Maggie und Madea den Kleiderschrank teilen müssen, aber Maggie wusste, dass Madea ihr ganzes Hab und Gut hier unterbringen musste. Diese Wohnung war für die Zeit des Studiums ihre Bleibe. In der Mitte des Raumes fand noch ein Tisch mit gerade mal zwei Stühlen Platz. Im vorderen Teil des Zimmers drängten sich ein Kühl- und ein kleiner Küchenschrank mit einer Kochplatte. An den Wänden hingen etliche Regale, auf dem die zahlreichen Bücher der beiden Medizinstudentinnen untergebracht waren. Eine Tür führte von dem zwei Meter langen Flur in das beengte Bad.
    Jetzt würde Madea nicht wieder in den Schlaf finden, deshalb stand sie auf und setzte einen Kessel mit Wasser auf. Ein Tee würde guttun. Diese Bilder konnte sie einfach nicht verdrängen. So vieles war zwar seit dem Überfall der US-Marines auf das kleine Städtchen Haditha im westlichen Irak passiert, aber sie wird es
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