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Caras Gabe

Caras Gabe

Titel: Caras Gabe
Autoren: Maya Trélov
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Kapitel 1
    Die hölzernen Scharniere meines Zimmerfensters knarrten, als ich es vorsichtig mit einer Hand aufschob. Putzreste blätterten vom Rahmen und fielen auf das schmale Fensterbrett darunter, nur um kurz darauf von einer Windböe erfasst und davongetragen zu werden.
    Es war eine klare Winternacht. Sterne blitzten wie Eisdiamanten vor der Schwärze des Himmels und obwohl noch keine Flocke gefallen war, konnte ich den ersten Schnee bereits im Wind riechen.
    Ich beugte mich aus dem Fenster heraus, genoss die frostige Luft auf meinem Gesicht und zog den würzigen Duft des Waldes tief in meine Lungen. Von hier oben konnte ich den Tannenwald gut überblicken. Wie ein sich wiegender dunkler Ozean reichte er bis an den kleinen Acker hinter unserem Haus heran.
    Eine Windböe kam auf, fegte durch die Tannenzweige und brachte sie zum Wispern. Ich schloss die Augen und lauschte gespannt. Vielleicht würde ich diesmal verstehen, was die Bäume sich zuflüsterten, denn die Finsternis, die zwischen den Zeigen herrschte, hütete ihre Geheimnisse gut.
    Plötzlich durchbrach der raue Schrei einer Elster die Nacht.
    Ich fuhr zusammen, tastete hektisch nach dem Fenster und schlug es zu.
    Dem Knall folgte bange Stille. Zitternd hob ich meine Hand von der Scheibe und starrte auf die Dunkelheit dahinter. Ich verharrte reglos und wartete, bis mein Herzschlag sich wieder beruhigte. Es dauerte eine ganze Weile.
    Den Ruf einer Elster zu vernehmen, bedeutete großes Unglück. Häufig brachten die Vögel den Tod über jene, die ihnen zu nahe kamen. Ich konnte von Glück reden, dass ich die Elster nicht gesehen hatte.
    Mein Atem war mittlerweile ruhiger geworden, doch ich stand der Scheibe so nahe, dass ich kleine Nebelwolken auf das Glas hauchte. Fasziniert beugte ich mich näher vor und beobachtete, wie der feuchte Schleier sich nach jedem Atemzug auflöste und verschwand.
    Das Flackern meiner Bienenwachskerze spiegelte sich im Glas und zerstob den Zauber. Ich blinzelte und für einige Augenblicke verschwammen die Welten vor und hinter der Scheibe, flossen ineinander und verschmolzen. Ich sah mein Gesicht im Glas, schmal und blass, doch der Spiegel der Nacht ließ mich schöner erscheinen, als ich war, mit hohen Wangenknochen und vollen, kirschroten Lippen.
    Kerzenschein brach sich auf meinem kupferfarbenen Haar und verlieh ihm den Eindruck eines leuchtenden Kranzes. Tannenzweige von der anderen Seite des Fensters zeichneten geheimnisvolle Muster auf meine Wangen und wuchsen mir über die Stirn. Nur meine Augen waren wie zwei bodenlose Schlünde, in denen die Finsternis lauerte.
    Ich versuchte zu lächeln, doch das Lächeln entglitt mir und wurde zu einer traurigen Maske. Der grimmige Zug um meinen Mund kehrte zurück, ebenso die leichte Falte zwischen meinen Augenbrauen. Ich hob einen Finger an die Scheibe und fuhr die Fältchen um meine Augen auf der kalten Scheibe nach. Ich sah älter aus, als ich war. Mit siebzehn sollte das Leben sich einem noch nicht so tief ins Gesicht gegraben haben.
    Seufzend schloss ich die Augen und lehnte die Stirn an das kühle Fensterglas. Es war spät, mitten in der Nacht. Ich sollte vernünftig sein und schlafen, anstatt nach Wölfen zu horchen, die Tannen zu betrachten und ketzerischen Gedanken nachzuhängen, wie ich es mir in den letzten Wochen zur Gewohnheit gemacht hatte.
    Nichts änderte sich dadurch, nichts wurde besser. Einzig die Schatten unter meinen Augen würden am nächsten Morgen tiefer sein.
    Missmutig stakste ich zum Bett, blies die Kerze aus und verkroch mich unter der Decke.

Kapitel 2
    Der nächste Morgen brachte Eisblumen an mein Fenster. Die Decke vor meinem Gesicht war von Frost überzogen und steif geworden.
    Bibbernd vor Kälte schälte ich mich aus den Laken, zog hastig die wollene Strumpfhose an, streifte das fleckige braune Kleid über und stieg in meine löchrigen Stiefel. Nicht mehr lange und ich würde mit meiner Mutter unten vor dem Kamin schlafen müssen, damit wir nachts nicht erfroren.
    Ich stieg die morschen Stufen hinab und blies dabei warmen Atem in meine Hände. Als das nicht helfen wollte, klemmte ich meine Hände unter die Achseln.
    Der Boden um die Quelle hinter unserem Haus war sonst aufgeweicht, doch heute hatte die Kälte den Schlamm zu einem frostigen Muster erstarren lassen. Nur an manchen Stellen brach ich noch durch die Eisschichten der Pfützen. Ich hielt den verbeulten Eimer an das träge sprudelnde Wasser und ließ ihn volllaufen. Wir würden das Wasser
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