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Caras Gabe

Caras Gabe

Titel: Caras Gabe
Autoren: Maya Trélov
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meiner wachsenden Panik abzulenken. Der Schmerz gab mir ein wenig Klarheit und ich klammerte mich mit aller Kraft daran.
    „Der Sünder ist ganz nahe“, flüsterte Bardorack so laut, dass ihn alle hören konnten.
    Mir war, als könnte ich seinen faulen Atem riechen, und in dem Moment machte ich den Fehler aufzusehen. Bardoracks Augen fanden mich und hielten mich fest. Ein elektrischer Schlag durchfuhr meine Glieder, ich hörte das endgültige Zuschnappen der Falle. Meine Mutter neben mir wimmerte leise. Blankes Grauen senkte sich wie eine bleierne Decke über mich. Die Welt gefror und mit dem Eis kam die Gewissheit, dass ich verloren war.
    Die Zeit verlangsamte sich und wurde zu einer schmerzhaft zähen Masse. Bardoracks Lippen formten meinen Namen, doch kein Laut drang aus seiner Kehle. Ich fühlte mich, als sei ich gefangen in einem Fluss aus Eis.
    Plötzlich erschien ein zitternder Lichtschimmer auf Bardoracks Stirn. Als würde jemand einen Spiegel lenken, streifte der Schimmer über seine Lider und blitzte in seinen Pupillen auf. Bardorack kniff geblendet die Augen zusammen und blinzelte heftig.
    Wie Wasser von einem Blatt glitt sein Blick von mir ab. Es fühlte sich an, als würden sich die Klauen eines Raubvogels aus meiner Haut lösen. Ich wäre vor Erleichterung zusammengesackt, doch der Schrecken saß so tief in meinen Gliedern, dass ich mich noch immer nicht regen konnte. Deshalb sah ich auch die Genugtuung, die in Bardoracks Augen aufflammte, als er ein anderes Opfer festnagelte.
    Er kniete in der Reihe hinter mir. Ich konnte seinen rasselnden Atem hören.
    „Tritt vor“, knurrte Bardorack.
    Ein klappriger alter Mann stolperte an mir vorbei und brach förmlich vor den Füßen des Priesters zusammen.
    Ich kannte Korrel, alle kannten ihn. Im vorigen Jahr hatte er seine Frau in einem Feuer verloren, als ein Blitz bei einem Sturm in ihr Haus eingeschlagen war. Sie waren kinderlos gewesen und nun war Korrel allein, mit dem Stigma der Schande versehen. Denn warum sonst sollte der Blitz seine Frau getötet haben?
    Die Umstehenden machten keinen Hehl aus ihrem Entsetzen und ihrer Abscheu. Sie sahen einen Unreinen. Ich sah bloß einen harmlosen alten Mann, der mit seinen Kräften am Ende war, den das Dorf mied wie eine Krankheit und der von eingeredeten Schuldgefühlen zerfressen wurde wie von einem Krebsgeschwür.
    Zitternd wie Espenlaub stand er da und wagte es nicht einmal, den Blick zu heben. Seine Knie waren dicke Knollen unter den Lumpen, die ihm als Kleidung dienten.
    „Ich … ich habe geträumt“, gestand er mit dünner Stimme. „Die Mondgöttin kam zu mir. Sie war in das Blut der Unschuldigen gekleidet und bat mich um Hilfe. Ich schirmte meine Augen ab, aber sie schnitt durch meine Lider. Ich wollte sie nicht ansehen, das schwöre ich beim ewigen Licht, ich habe es nicht gewollt.“
    Bardoracks Lippen bebten vor Abscheu. „Du warst schwach“, urteilte er erbarmungslos.
    „Ja“, jammerte Korrel, „ich war schwach.“ Rotz und Wasser liefen in seinen Bart und tropften auf seine Lumpen. Er fiel zurück auf die Knie und heulte. „Vergebt mir, beim Lichte, ich war schwach!“
    Wie auf ein stilles Kommando erhoben sich vier Männer aus den Reihen der Knienden.
    „Für Sünder gibt es keine Gnade!“ Das Urteil des Priesters brach über Korrel zusammen wie ein einstürzendes Haus. In einer Geste der Verzweiflung wollte er sich Bardorack vor die Füße werfen, doch die Männer fingen ihn ab und überwältigten ihn. Fäuste flogen, als Korrel sich überraschend stark zur Wehr setzte und lauthals um Vergebung flehte.
    Endlich fiel die Starre von mir ab. Ich fasste nach meiner Kehle, japste nach Luft. „Nein“, keuchte ich. „Lasst ihn los.“ Doch meine Stimme war zu schwach und ging in der Unruhe unter.
    Ich ballte eine Hand zur Faust, machte mich bereit aufzuspringen, um die Männer von Korrels Rücken zu reißen.
    Mit einem Schrei stürzte ich vor – und wurde jäh zurückgerissen. Erschrocken starrte ich in das furchtzerfressene Gesicht meiner Mutter. Kalte Hände hielten mich an den Schultern wie Klauen, pressten meine Knie zurück auf die Bank.
    „Wag es nicht“, zischte Arane. Blankes Entsetzen saß in ihren Augen.
    Ich riss an dem Klammergriff, doch meine Mutter ließ nicht locker.
    „Lass mich gehen!“
    „Bitte“, flehte Arane, kaum hörbar. Tränen traten in ihre Augen und rollten über ihre hohlen Wangen. „Ich darf dich nicht verlieren.“
    Für einen Augenblick war ich so
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