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Caras Gabe

Caras Gabe

Titel: Caras Gabe
Autoren: Maya Trélov
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um nicht laut vor hilfloser Wut zu schreien, und zog meine Hand wieder weg. Wie von selbst huschte mein Blick zum Waldrand und für die Dauer eines Lidschlages war die dunkle Gestalt zurück.
    Mein Herz machte einen Satz und schlug doppelt so schnell weiter, doch schon im nächsten Moment war die Erscheinung verschwunden. Nichts als dunkle Leere steckte zwischen den Tannen. Ich schüttelte den Kopf. Dort war niemand. Es war nichts als Einbildung gewesen, ein Trugbild, geboren aus meiner eigenen Wunschvorstellung.
    Ruckartig drehte ich mich um, marschierte los und meine kupferfarbenen Locken wehten wie eine wütende Flagge hinter mir her.
    Das Kreischen meiner Mutter folgte mir auf den Fersen, doch ich hörte sie schon nicht mehr. Ich fühlte mich erstickt von meiner eigenen Feigheit und der meiner Mutter. Fühlte mich erstickt von diesem Ort und den Grausamkeiten seiner Bewohner, die wie eine eitrige Schlammkruste über dem gesamten Dorf klebte.
    Meine Stiefel scharrten über den erstarrten Matsch, der die Straßen und den weiten Platz vor der Kirche bedeckte wie ein See aus braunem Elend. Angewidert sah ich mich um. Dieses Dorf war schmutzig. Unrat und Fäulnis beschmierte alles wie eine Pest. Schönheit wurde hier verachtet, sogar gefürchtet.
    Besonders hier auf dem Kirchenplatz hatte ich stets den Eindruck, vor dem verfaulenden Maul eines Riesen zu stehen. Die Reihen der Häuser lichteten sich an so vielen Stellen. Die Bewohner waren verstorben oder verbrannt, das Haus zerfiel und niemand unternahm etwas dagegen. Andere Häuser waren abgerissen worden, um die Schande ihrer Bewohner an der Wurzel auszurotten.
    In braune Lumpen gehüllte Gestalten krochen von allen Seiten auf die Kirche zu, hoben einzig den Kopf, um missgünstige Blicke auf die anderen Dörfler zu schielen. Sie wirkten wie schleimige Nacktschnecken, die zur Fütterungszeit aus ihren Löchern krochen. Angewidert wandte ich mich ab, nur um einem anderen unliebsamen Bild zu begegnen.
    Arane sank vor dem Kircheneingang auf die Knie und verneigte sich tief, bis ihre Stirn den Boden berührte. Ich starrte mit stumpfem Blick an dem Gebäude empor. Dann folgte ich meiner Mutter hinein.
    Wie ich befürchtet hatte, blieb uns nur noch die erste Reihe. Mit hängendem Kopf schlurfte ich zwischen den stinkenden Menschen hindurch und kniete mich auf eines der Holzbretter, die hier anstelle von Bänken auf dem Boden lagen.
    Priester Bardorack stand stolz aufgerichtet auf einem erhöhten Podest vor dem Altar. Das makellose Weiß seiner Roben schmerzte in den Augen und so fiel es mir nicht schwer, den Blick gesittet auf die Dielen zu richten.
    Bardorack hatte eine Hakennase, an der zwei schlammfarbene Augen vorbeischielten, einen krummen Rücken und spinnenartige Finger, die er ständig aneinander rieb, als plane er eine Schandtat. Die langen Roben verbargen seinen Klumpfuß gut, allein der ewig humpelnde, schlurfende Gang des Priesters erinnerte daran.
    Mit einem Schlag fiel die Kirchentür ins Schloss und wie jedes Mal durchzuckte mich das Gefühl, in der Falle zu sitzen. Trübes Halbdunkel herrschte im Raum. Das einzige spärliche Licht fiel durch die schmutzigen Fenster über dem Altar und tauchte Bardorack in grauen Glanz.
    Der Priester hob seine Arme und enthüllt die zerfledderten Schwanenfedern, die auf die Innenseite seiner Roben unter die Arme genäht waren. Sie sollten die Flügel darstellen, auf denen das Licht zur Erde kam, und an die Lichtträger erinnern. Die Diener des Lichtes.
    Bardoracks Stimme hallte unangenehm laut durch die Kirche. „Zittert und leidet und ihr werdet das Licht sehen. Entsagt den dämonischen Versuchungen des Lebens, lasst nur das Licht in euren Herzen wohnen.“
    Mit einem stillen Seufzer senkte ich den Kopf, bis mein Kinn die Brust berührte. Ich schloss die Augen und versuchte einen Zustand zu finden, in dem ich die Worte des Priesters nicht mehr hören musste. Manchmal gelang es mir, mich während einer Predigt davonzustehlen und in meiner Vorstellung einen Ort zu erreichen, der weit fort war von allem, das mir Angst machte.
    „Die erste Nacht rückt näher“, schmetterte Bardorack, „und mit ihr kriechen die Varuh aus ihren Löchern.“
    Mein Kopf ruckte hoch. Ein kurzer Seitenblick zeigte mir das bleiche Profil meiner Mutter, das in ehrwürdiger Andacht mehr denn je aussah wie ein ausgehöhlter Schädel. Jeder trägt seinen Tod mit sich, dachte ich, und meine Mutter trägt ihn im Gesicht.
    „Die erste Nacht bringt die
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