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Caras Gabe

Caras Gabe

Titel: Caras Gabe
Autoren: Maya Trélov
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durch eine entrückte Landschaft aus grauweißen Nebelschwaden. Die Wolken umarmen mich und geben mir feuchte Küsse auf die Wangen. Meine Kleidung knattert und flattert im Wind wie Segel. Ich strecke meine Arme aus und gleite meinem Ende entgegen, reiche den Schnee im Wind und jubiliere, ohne einen Funken Angst im Herzen, so lange mein Flug währt.
    Der Aufprall. Er zerschmettert meinen Glieder, bricht mir die Knochen. Ich bin erleichtert, als mir der Schmerz bald darauf das Bewusstsein raubt.

Kapitel 22
    Ich warte, warte auf den schwarzen Ozean. Warte auf die Wellen, das Brausen und das erdrückende Gefühl der öligen Flüssigkeit, die sich über mich breitet, mir in den Mund kriecht, um mich in sich zu vergraben. Und wäre der Schmerz nicht, dieses unablässige Reißen und Zerren an meiner Haut und meinen Nerven, ich würde mich dem Ozean dankbar hingeben.
    Ich sinke zurück in die Bewusstlosigkeit. Meine Augen sind geschlossen und doch sehe ich. Eine hochgewachsene, schlanke Gestalt in weißes Leinen gehüllt. In meinen Ohren rauscht das Blut, trommelt mein Herz, und doch höre ich diese Stimme. Sie ist so wunderschön, dass sie selbst Tote wecken kann.
    Ich beobachte mich von oben, zertrümmert, die Glieder in unnatürlichen Winkeln ausgestreckt. Knochen, die durch meine Haut ragen, Blut, das über Felsen fließt, und ich sehe, wie sie an meinem Körper niederkniet und eine Hand auf meine Brust legt. Sie singt zu mir.
    Das gläserne Schwert schimmert neben meinem Bein. Ich habe vollkommen vergessen, dass ich es bei mir getragen habe, so sehr ist es Teil von mir geworden. Eine Schande, dass es in Scherben liegt. Doch ich empfinde keine Trauer darüber und ich habe auch keine Angst, denn ich weiß, dass Sowanje nun endlich frei ist.
    Wenn ich es könnte, ich würde lächeln, denn zum ersten Mal seit dem nächtlichen Flug mit Arun habe auch ich mich frei und ungebunden gefühlt. Ich wünsche mir immer höher zu steigen und in die Wolken einzutauchen. Dort herrscht nichts als Frieden und Ruhe, kein Sehnen, keine Wut, keine Reue. Wäre nur nicht dieser Gesang, der mich ruft und an mir zupft, der mich bittet und lockt zurückzukommen.
    Der Schnee des Waldes reicht nicht ganz bis an mich heran. Dort, zwischen den Schatten der Tannen, regt sich etwas. Es durchfährt mich wie ein elektrischer Schlag. Gleichzeitig wird mir klar, dass es Ghalla ist, die dort kniet und singt, die mich zurück in meinen Körper singt mit ihrer Stimme, deren Schönheit nichts und niemand widerstehen kann.
    Ich werde gezogen, ich sinke, ich falle und schmettere erneut zu Boden.
    „Ich danke dir“, höre ich sie wie aus weiter Ferne sagen. Leises Klirren begleitet ihre Bewegungen, als sie die Scherben des Schwertes einsammelt und in einen Korb legt. Wenig später spüre ich ihre kühle Hand auf meiner Stirn. „Und nun“, haucht sie, „wach auf, Cara.“
    Mit den Worten erhebt sie sich und stapft durch den Schnee davon, ohne zurückzublicken.
    Meine Augen sind blutig umrandete Risse in eine schmerzverzerrte Welt. Ich will sie schließen, um den Qualen zu entkommen, doch beißendes Rot sickert zwischen meine Lider, brennt in meinem Blick und zwingt mich zu blinzeln.
    Den Wald nehme ich wahr wie in einem Blitzgewitter, Donner und Lichtstrahlen herrschen in meinem Kopf. Durch das Dröhnen und Rauschen sehe ich, dass die Tannen schneegebeugt stehen. Zwischen ihren Stämmen wartet die Finsternis darauf, dass sich die Nacht über das Land senkt und es zu ihrem Reich macht.
    Ich kann das Harz riechen, den frischen Schnee und ich schmecke dickflüssiges Eisen auf meiner Zunge. Neben meinem Kopf tränkt es den Schnee in leuchtendes Rot. Wie gierig die Eiskristalle mein Blut aufsaugen … Unter Schmerzen drehe ich den Kopf und starre auf meine Finger. Verkrustet und frisch, aber rot. Mein Blut. Rot. Ich bin menschlich.
    Die Schatten des Waldes verdichten sich, wirbeln durcheinander und wehen auf mich zu. Ein schwaches Lächeln stiehlt sich auf meine Züge, als die Dunkelheit sich lüftet und seine Gestalt freigibt.
    Er ist so wunderschön.
    Geschmeidig sinkt er neben mir auf die Knie und taucht eine Hand in seinen schwarzen Umhang.
    „Du hast sie noch?“, hauche ich.
    Arun nickt. „Wenn jemand so mutig und wahnsinnig zugleich sein kann, von Marmons Zinnen zu springen, dann du.“ Er lächelt schief. „Ich habe auf deinen sturen Kopf und deinen Kampfgeist gesetzt.“ Dann legt er die Schwanenfeder auf meinen Brustkorb.
    Ich atme keuchend ein.
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