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Totentöchter - Die dritte Generation

Totentöchter - Die dritte Generation

Titel: Totentöchter - Die dritte Generation
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Ich warte.
    Sie sperren uns so lange im Dunkeln ein, dass wir unsere Augenlider gar nicht mehr spüren. Zusammengedrängt wie Ratten schlafen wir, starren vor uns hin, träumen von unseren schwankenden Körpern.
    Ich weiß, wann eines der Mädchen eine Wand erreicht. Sie fängt an zu hämmern und zu schreien – das Geräusch hat etwas Metallisches –, aber keine von uns anderen hilft ihr. Wir reden schon lange nicht mehr, begraben uns noch tiefer in der Dunkelheit.
    Die Türen gehen auf.
    Das Licht macht uns Angst. Es ist das Licht der Welt am Ende des Geburtskanals und auch das Licht, das den Tod begleitet. Mit den anderen Mädchen drücke ich mich voller Entsetzen in die Wolldecken und will weder Anfang noch Ende.
    Wir stolpern, als sie uns hinauslassen, haben vergessen, wie man die Beine benutzt. Wie lange war es … Tage? Stunden? Der weite Himmel wartet an seinem üblichen Platz.
    Ich stehe mit den anderen Mädchen in einer Reihe und Männer in grauen Mänteln mustern uns.
    Davon habe ich gehört. Wo ich herkomme, verschwinden
Mädchen schon seit langer Zeit. Sie verschwinden aus ihren Betten oder vom Straßenrand. Einem Mädchen aus meiner Nachbarschaft ist es so ergangen. Danach ist ihre ganze Familie verschwunden – weggezogen –, vielleicht um sie zu suchen oder weil sie wussten, dass sie nie zurückgebracht werden würde.
    Jetzt bin ich dran. Ich weiß, dass Mädchen verschwinden, aber danach kann alles Mögliche passieren. Wird man mich als Ausschuss umbringen? In die Prostitution verkaufen? Das alles passiert. Es gibt nur eine andere Möglichkeit. Ich könnte Braut werden. Ich habe sie im Fernsehen gesehen: widerwillige, aber schöne Bräute im Teenageralter am Arm eines reichen Mannes, der sich dem tödlichen Alter von fünfundzwanzig nähert.
    Die anderen Mädchen schaffen es nie auf den Bildschirm. Mädchen, die die Inspektion nicht bestehen, werden in die Bordelle der scharlachroten Bezirke verfrachtet. Manche haben wir ermordet an Straßenrändern gefunden, wo sie in die sengende Sonne starrend verwesten, weil die Sammler zu faul waren, sich um sie zu kümmern. Manche Mädchen verschwinden für immer und ihre Familien können nichts tun.
    Die Mädchen, die geholt werden, sind dreizehn oder älter, wenn ihre Körper zum Austragen von Kindern reif genug sind – denn der Virus fordert jedes weibliche Wesen unserer Generation mit zwanzig.
    Unsere Hüften werden vermessen, es wird festgestellt, wie kräftig wir sind, unsere Lippen werden auseinandergedrückt, damit die Männer unsere Gesundheit nach dem Zustand unserer Zähne beurteilen können. Eines der Mädchen übergibt sich. Sie könnte diejenige gewesen
sein, die geschrien hat. Sie wischt sich den Mund ab, zitternd, verängstigt. Ich halte stand, bin entschlossen, anonym und unauffällig zu bleiben.
    Ich fühle mich zu lebendig in dieser Reihe todgeweihter Mädchen mit halb geschlossenen Augen. Ich spüre, dass ihre Herzen kaum schlagen, während meines in der Brust hämmert. Nach dieser langen Zeit in der Dunkelheit des Lasters sind wir alle miteinander verschmolzen. Wir sind ein namenloses Ding, das diese seltsame Hölle erlebt. Ich will nicht auffallen. Ich will nicht auffallen.
    Aber es nützt nichts. Jemand hat mich bemerkt. Ein Mann schreitet die Reihe ab. Er lässt uns von den Männern in den grauen Mänteln befingern, prüfen. Er wirkt aufmerksam und erfreut.
    Seine Augen – grün wie zwei Ausrufezeichen – begegnen meinem Blick. Er lächelt. Das Gold seiner Zähne blitzt, er muss reich sein. Eigentlich ist er zu jung, um schon seine Zähne zu verlieren. Er geht weiter und ich starre auf meine Schuhe. Ich bin so dumm! Ich hätte niemals aufschauen dürfen. Meine seltsame Augenfarbe ist das Erste, was anderen an mir auffällt.
    Er sagt etwas zu den Männern in den grauen Mänteln. Sie sehen uns alle an, dann scheinen sie sich einig zu sein. Der Mann mit den goldenen Zähnen lächelt wieder in meine Richtung, dann wird er zu einem anderen Wagen gebracht, der den Kies aufspritzen lässt, als er rückwärts auf die Straße setzt und davonfährt.
    Das Mädchen, das sich übergeben hat, wird wieder in den Lastwagen gebracht, und ein Dutzend andere Mädchen auch. Ein Mann in einem grauen Mantel folgt ihnen. Drei von uns sind übrig. Die von den anderen
Mädchen hinterlassenen Lücken klaffen noch zwischen uns. Die Männer sprechen erst miteinander, dann mit uns. »Geht«, sagen sie und wir gehorchen. Wir können nirgendwohin, nur auf
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