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Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön

Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön

Titel: Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön
Autoren: Heinz G. Konsalik
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I
    Man kann wirklich nicht behaupten, daß Leo Kochlowsky bei seinen Mitmenschen beliebt war. Aber das war ihm auch gleichgültig. Manche, die ihn näher kannten – was man so unter näher versteht, denn Kochlowsky hatte keine Freunde, weil auch der beste Freund es nicht erträgt, dauernd ein Schielbock oder ein Rindvieh genannt zu werden – behaupten sogar, er brauche die Reibung an seiner Umgebung wie der Blitz, der ohne Reibung nicht entsteht.
    Wer den kleinen Ort Wurzen in Sachsen kennt – an der Bahnlinie zwischen Leipzig und Dresden gelegen –, weiß, daß dort fast jeder jeden kennt, vor allem im Jahre 1889, wo es noch üblich war, sich auf der Straße ehrerbietig zu grüßen. Ein Mann wie Kochlowsky fiel in einer solchen Kleinstadt natürlich sofort auf, zunächst allerdings durch seine imponierende Erscheinung und Eleganz. Das war zum ersten Mal am 5. Mai 1889, als Kochlowsky auf dem kleinen Bahnhof von Wurzen ausstieg, aus einem Wagen der zweiten Klasse, in maßgeschneidertem Gehrock, zu dem er schmale Lackstiefeletten trug, den prächtigen schwarzen Bart meisterlich geschnitten, das Haupthaar messerscharf gescheitelt, in der Rechten einen Ebenholzstock mit Elfenbeinkrücke, und die drei Kutschen musterte, die vor dem Bahnhofsgebäude auf Fahrgäste warteten.
    Kochlowsky entschied sich für die dritte, also die letzte Kutsche und trat an den offenen Wagenschlag. Der Kutscher, ein alter Mann mit eisgrauem Schnauzer, schüttelte den Kopf und wies mit dem Daumen auf die vorderste Kutsche.
    »Was soll das?« knurrte Kochlowsky gefährlich leise.
    »Der Kollege ist dran, mein Herr.«
    Nur Ruhe, ermahnte sich Kochlowsky. Nur Ruhe, Leo! Hier ist Wurzen in Sachsen und nicht Pleß in Oberschlesien. Du bist nicht mehr der allmächtige Verwalter von Gut III des Fürsten Pleß, sondern der zukünftige Zweite Geschäftsführer der Ziegelei des Grafen Douglas. Du bist hier, um dich vorzustellen, deine neue Arbeitsstätte zu besichtigen und das Haus zu inspizieren, in dem du, deine kleine zarte Frau Sophie und deine künftigen Kinder in Ruhe und Frieden leben wollen.
    Ein neuer Lebensabschnitt hat begonnen: Nach den wilden Jahren in Pleß mit den polnischen Landarbeitermädchen und den noch süchtigeren feinen Damen am Fürstenhof, die in der Dunkelheit der Nacht zu seinem Verwalterhaus gestreunt waren wie Katzen nach dem Baldrian, begann hier in Wurzen jetzt die Gründung der Familie Kochlowsky, weit entfernt von allen Plätzen, wo enttäuschte Weiberchen ihm das Auskratzen der Augen angedroht hatten. Ein Aufatmen gab es nur bei den Männern: Kochlowsky war weg aus Pleß, man brauchte seine Braut nicht mehr an die Leine zu nehmen; der gefürchtete Herr Verwalter, den man auch den ›Feldherrn‹ nannte, weil er beim Ritt durch die Felder und Wälder wie ein Heerführer im Sattel saß, verschwand für immer ins ferne Sachsen, nachdem er die engelgleiche Küchenmamsell Sophie Rinne, von der Fürstin Pleß rästelhafterweise ›Nichtchen‹ genannt, geheiratet hatte. Ein bedauernswertes Mädchen! Jeder hatte sie vor dieser Hochzeit gewarnt, aber sie liebte diesen Klotz Kochlowsky, was wirklich niemand verstehen konnte. Als sie auch noch schwanger wurde – vor der Hochzeit, das war das Unerhörteste –, gab es manchen in Pleß, der bereit war, Leo Kochlowsky den Schädel einzuschlagen. In dieser Lage war es wohl das Klügste von Kochlowsky gewesen, eine alte Verbindung zu dem Grafen Douglas wieder aufzunehmen und sich um eine Stelle auf dessen Besitzungen zu bewerben. Da ergab sich der Glücksumstand, daß die großen Ziegeleien einen Zweiten Geschäftsführer benötigten.
    Nun war er hier in Wurzen angekommen, stand vor dem Bahnhof, und ein Kutscher weigerte sich, ihn zu transportieren. In Pleß wäre der Aufsässige schon längst vor Kochlowskys Gebrüll in die Knie gesunken – ach was, er hätte es erst gar nicht gewagt, auch nur einen Ton von sich zu geben.
    »Sie fahren mich!« sagte Kochlowsky hart und trat an den offenen Türschlag. Der Kutscher schüttelte wieder den Kopf. Er war ein höflicher Mensch und guter Kollege. Wenn wenig zu tun ist, geht es immer der Reihe nach. Auch die anderen sollen nicht am trockenen Brotkanten beißen.
    »Die erste Kutsche ist frei, mein Herr«, erwiderte er.
    »Ich fahre nicht mit Kleppern, die bei jedem Schritt furzen!« entgegnete Kochlowsky laut genug, daß es über den Bahnhofsplatz schallte. Seine tiefe, dröhnende Stimme war in Pleß berühmt geworden – in Wurzen mußte
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