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Das Meer in deinen Augen

Das Meer in deinen Augen

Titel: Das Meer in deinen Augen
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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fragend an, der vom Boden plötzlich aufsah und den Mund öffnete.
    »Vielleicht …«, begann er zögerlich. »Vielleicht ist es doch so, wie es dieser … dieser italienische Polizist vermutet hat. Vielleicht war’s ja gar kein …« Er beendete den Satz nicht, sondern blieb neben ihr stehen, die Hände tief in den Taschen vergraben. »Habt ihr schon mal dran gedacht, dass er es einfach nicht mehr zu Hause ausgehalten hat?«, fragte er und seine Pupillen weiteten sich. Er fasste sich an den Kopf, als müsse er ihn vor dem Platzen bewahren. »Hat das schon mal irgendjemand von euch in Betracht gezogen«, zischte er.
    »Es ist doch idiotisch, dass wir auf alles eine Antwort suchen. Wahrscheinlich wusste er selbst nicht, warum er springt. Er hat’s einfach getan.«
    Benjamin hatte ihnen den Rücken zugewandt und suchte jetzt hektisch nach seinem Feuerzeug.
    »Wir haben ihn nie nach seiner Familie gefragt. Warum auch? Sein Vater war komisch, bisschen spießig. Aber der schlägt doch nicht. Der schlägt doch nicht«, wiederholte er mehrmals und wurde immer leiser. Benjamin redete auch weiter, als er den Filter schon zwischen den Zähnen hatte und nervös an dem Rädchen drehte. »Der war doch Anwalt, ein Scheißanwalt. Die machen so was doch nicht …«
    »Falk ist …«, fing Finn wieder an. »… der ist irre. Das muss nicht stimmen mit dem Vater.«
    »Du warst es doch, der damals zu ihm ins Studio wollte.« Finn nickte stumm. Benjamin zitterte inzwischen. Sein Finger war bereits wund.
    »Wisst ihr was? Ich glaube Falk. Ich glaube ihm das.« Benjamin schüttelte den Kopf und rieb weiter verzweifelt an dem kleinen Rad. »Warum sollte er lügen? Er ist vielleicht irre. Aber er hat als Einziger die Wahrheit gekannt. So krank ist diese verdammte Welt, dass nur die Irren die verkackte Wahrheit kennen. Und wenn es so ist, dann will ich auch irre sein … Scheiße«, fluchte Benjamin, als wieder nur ein Funke, aber keine Flamme entstand. Er stand auf und warf zuerst das Feuerzeug, dann auch die Zigarette weit auf das Feld.
    »Ich schätze, wir haben Luka nie gefragt, weil wir dachten, dass er es uns schon sagen würde, wenn ihm danach ist.« Finn klang nicht wirklich überzeugt. »Macht man unter Freunden so, oder?«
    »Vielleicht haben wir uns aber auch einfach einen Scheißdreck für ihn interessiert.« Benjamin stand jetzt genau vor Finn, der keinen Zentimeter zurückwich.
    »Ja, Mann. So ist es doch.« Er spuckte neben Finn ins Gras und ging alleine zurück zum Auto. Plötzlich fielen ihm die Dinge wieder ein, die nun eine ganz neue Bedeutung hatten. Die Wunde an der Wange, die Luka vor einem Jahr gehabt hatte: Hab am Samstag beim Feiern eine abbekommen. Finn und er hatten noch gelacht. Jetzt wunderte Benjamin sich nicht mehr, dass sie so gut wie nie bei ihm zu Hause gewesen waren. Immer nur an der Tür, wenn sie ihn abgeholt hatten. Oft hatte sein Vater geöffnet. Dieses merkwürdige Lächeln, über das er gerätselt, aber nie länger nachgedacht hatte. Nur ein- oder zweimal war er überhaupt in Lukas Zimmer gewesen. Ein kleines Zimmer, das irgendwie nicht zu dem restlichen kalten Haus passte. Poster und Fotos hingen an den Wänden, und an einer Wand lehnte die Gitarre. Im Regal standen viele Bücher mit abgestoßenen Kanten. Ein richtiger Rückzugsort. Hier hatte er sich vor dem Leben versteckt. Das Türschloss war zerkratzt. So oft hatte er den Schlüssel herumgedreht. Benjamin rührte sich nicht. Auch als die anderen wieder ins Auto eingestiegen waren. Es blieb still, bis Emma das Schweigen brach: »Wahrscheinlich wollte er gar nicht, dass wir es wissen.«
    Benjamin schüttelte den Kopf. »Wir hätten ihm helfen können.«
    »Wie denn? Hättest du tun wollen, was Falk getan hat?«, hakte Finn nach.
    »Warum nicht? Wenn er recht hat …« Er hielt für einen Moment inne. Nie hätte er gedacht, dass er so über Falk sprechen würde. Doch er war sich diesmal ganz sicher, dass er die Wahrheit sagte. »Wenn er recht hat«, wiederholte er. »Was war dann verkehrt daran, sich zu wehren?« Er erschrak nur kurz über seine Worte. Er hatte soeben einen Mörder verteidigt.
    »Keine Ahnung. Ich weiß es doch auch nicht«, flüsterte Finn.
    Emma legte Benjamin die Hand auf die Schulter, und ganz langsam wich die Wut wieder.
    »Ihr hättet nichts tun können«, wiederholte sie immer wieder leise. Er lehnte sich zurück und schloss die Augen.
    »Wir hätten nichts tun können«, sprach er das nächste Mal mit und atmete tief ein
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