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Das Meer in deinen Augen

Das Meer in deinen Augen

Titel: Das Meer in deinen Augen
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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und aus. »Was kann man überhaupt ändern? Nichts. Nichts kann man ändern. Erst wenn es zu spät ist, weiß man es besser.«
    Benjamin hob die Schultern. Auch das Meer hatten sie längst hinter sich gelassen. Die Stunden im Wasser waren inzwischen genauso eine ferne Erinnerung wie alles davor Geschehene. Und er hatte tatsächlich gedacht, dass es etwas bedeutet hätte, das es wert war, bewahrt zu werden.
    »Vielleicht sollten wir aufhören, alles immer nur positiv sehen zu wollen. Es ist einfach scheiße. Daran können wir nichts ändern. Aber wir haben doch gezeigt, dass wir damit leben können«, meldete sich Finn, der die ganze Zeit nur aus dem Fenster gestarrt hatte. »Hatten wir nicht zwei verdammt gute Tage? Ich weiß wieder, warum du mein bester Freund bist, Benny. Und seit gestern werde ich das nie wieder vergessen. Und du, Emma …«
    Sie drehte sich nach ihm um. Seine Hand lag auf ihrer Schulter. »Wenn ich ehrlich bin, bist du vielleicht das erste Mädchen, vor dem ich wirklich Respekt habe. Und die Erste, die ich als Freund bezeichnen würde.«
    Emma wurde rot. »Wusste gar nicht, dass du so reden kannst.«
    »Dann kennst du Finn noch nicht lange genug.«
    »Können wir ändern. Wann hast du Zeit?« Sie musste lachen. Viel fehlte nicht, und sie würde vor Rührung weinen.
    Benjamin beobachtete sich selbst im Rückspiegel. Ganz langsam legte sich ein Lächeln auf sein Gesicht. »Ganz schön verrückte Ferien, oder?«
    »Hast du noch Kippen, Benny?«
    »Im Handschuhfach müssten noch welche sein.« Emma warf Finn die Schachtel zu. »Dann kann’s ja losgehen.«
    Das Gatter des Friedhofs quietschte. Eine alte Frau, die ihnen entgegenkam, stutzte, als sie die drei sah. Ihre Haare verklebte eine weiße Salzkruste, die T-Shirts hatten Weinflecken und unter dem Stoff zeichneten sich angespannte Körper ab, die die Nacht in Schlafsäcken auf einer Wiese verbracht hatten. Die Müdigkeit stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Und doch war da eine Spur Erleichterung, die an einen Läufer erinnerte, der gerade die Zielmarke überschritten hatte. Auch sie hielten kurz inne und sahen hoch zu den Baumwipfeln, die seit über hundert Jahren ein Dach über diesem Ort spannten.
    »Wir machen einen kleinen Umweg«, kündigte Benjamin an und ging voran. Die Vögel sangen und wenn man den Blick zum Himmel hob, machte die bedrückende Stimmung einem Gefühl andächtiger Ruhe Platz. Der Kies knirschte unter Benjamins ausgetretenen Sneakers, während er den Weg vorgab.
    Sie passierten eine Jesusstatue und erreichten eine Parzelle, wo Urnen unter dem Rasen begraben waren. Die Tafeln auf den Stehlen zeigten, wer auf dem Feld seine letzte Ruhe gefunden hatte.
    Benjamin suchte, bis er im Schatten einer Birke den Namen seines Großvaters entdeckte.
    »Wisst ihr? Ich bin froh, dass ich noch etwas Zeit mit ihm verbracht habe. Und … und ich glaube, ich hätte etwas verpasst, wenn ich nur den mürrischen alten Mann gekannt hätte, der er sonst immer gewesen ist.« Benjamin stülpte die Unterlippe vor und atmete lange aus, sodass er die verfilzte Haarsträhne hochpustete, die ihm in die Stirn hing. Drüben im Beet harkte ein Gärtner, eine Frau goss die Blumen ihres Mannes. Mit dem Rieseln der Erde und dem Plätschern des Wassers fiel langsam ein Stück der Last von Benjamins Schultern.
    »Komm, gehen wir weiter«, verkündete er, als er spürte, dass es Zeit war.

24
    Es war neun Uhr abends am Sonntag, als der zerbeulte BMW wieder vor Emmas Haus hielt und Benjamin sie absetzte. Sie winkte noch, als der Wagen wieder abfuhr, und wartete, bis er an der Straßenecke abbog. Da stand sie und wünschte sich, es wäre noch nicht so weit, die Reise noch nicht vorbei. Jeden Schritt im Treppenhaus setzte sie so behutsam wie noch nie. Die Tür schloss sie so leise auf wie nur möglich. Sie wollte sich unbemerkt in ihr Zimmer schleichen. Es war ein vergeblicher Versuch. Im Wohnzimmer saß ihre Mutter und starrte durch die offene Tür in den Hausflur. Emma überlegte kurz, ob sie wohl die letzten beiden Nächte so auf sie gewartet hatte.
    »Es tut mir leid«, flüsterte Emma und kniete sich vor ihr auf den Teppich. Sie legte den Kopf in ihren Schoß und ließ sich über ihr Haar streichen.
    »Du weißt doch, dass ich Angst bekomme, wenn du weg bist.«
    »Verzeihst du mir?«
    »Ich war dir nie böse.«
    Am Abend gab es Pasta mit Tomaten und Mozzarella. Emma schaute oft auf. Sie trug die Frage schon lange mit sich herum. Erst seit den letzten Tagen
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