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Das Meer in deinen Augen

Das Meer in deinen Augen

Titel: Das Meer in deinen Augen
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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spürte sie, wie sehr sie ihr auf der Seele brannte. Es ging ihr nicht darum, abzuschließen. Sie wusste, dass so etwas nicht funktionierte. Eigentlich wusste sie noch gar nicht, ob diese Frage sie überhaupt zu Antworten führen würde. Es ging nur darum, dass sie nie würde loslassen können, ehe sie sich vergewissert hatte, dass sie dazu bereit war.
    »Weißt du gar nicht, wo er ist?«
    Ihre Mutter verharrte in der Bewegung, mit der sie gerade die Gabel zu ihrem Mund hatte führen wollen. Sie schien zu überlegen, ob es noch einen Ausweg gab, um dem Offensichtlichen auszuweichen. Dann entfuhr ihr doch nur ein leiser Seufzer und sie senkte die Gabel wieder zum Teller.
    »Ich will es nicht wissen. Unsere Anwältin schreibt ihm, aber er kommt nicht mehr zum Gericht.«
    »Ich will ihn sehen«, entgegnete Emma.
    »Bist du dir sicher?«, fragte ihre Mutter skeptisch.
    »Ja«, blieb sie entschlossen.
    »Lass es lieber. Du tust dir nur weh.«
    »Ist schon okay, Mama. Ich muss ihn noch einmal treffen. Das letzte Mal war ich noch ein Kind.«
    »Du bist auch jetzt noch …«, fing ihre Mutter an, aber beendete den Satz nicht. Sie holte tief Luft und sah Emma sorgenvoll an, ehe sie nickte und ihre Miene sich aufhellte.
    »Du weißt selbst, wann du alt genug bist.«
    Am nächsten Morgen stand Emma früh auf. Es war Montag. In die Schule würde sie heute nicht gehen. Im Regal fand sie schnell den Ordner, den sie suchte. Sie hatte Mama nie zu ihrer Anwältin begleitet. Mit der Bahn fuhr sie nur eine Station. Vorne an der Ecke Wilhelmstraße fand sie das Schild, nach dem sie suchte: Carolin Rau – Anwältin für Arbeits- und Familienrecht , war in die Edelstahltafel graviert. Emma nahm den Fahrstuhl bis in den dritten Stock.
    »Guten Tag«, grüßte die Assistentin hinter dem Tresen. Dann rückte sie einen Stoß Akten zurecht, sodass sie freie Sicht hatte.
    »Wie können wir helfen?«
    »Emma. Emma Werner«, stellte sie sich vor. »Meine Mutter, Frau Zimmermann, sie ist Mandantin bei Ihnen.«
    »Okay«, entgegnete sie zögerlich und eine Spur verwundert über diese Umstände. »Und was kann ich für dich tun?«
    Bevor Emma antworten konnte, ging eine Tür auf und eine Frau mit kurzem fuchsbraunem Haar warf eine Akte vor der Sekretärin auf den Tisch. »Machen Sie mir davon eine Kopie, bitte«, wies sie ihre Assistentin an. Eilig wollte sie wieder in ihr Büro verschwinden, als sie Emma bemerkte und innehielt. »Guten Tag«, grüßte sie mit rauer Stimme.
    »Die Tochter von Frau Zimmermann«, stellte die Assistentin sie vor. Frau Rau schob ihre Lesebrille auf dem Nasenrücken ein Stück höher und prüfte sie durch die schmalen Gläser streng. Ihre zwei Ohrringe funkelten. Dann leuchteten ihre Augen auf und ihre Brauen hoben sich, was nur bedeuten konnte, dass sie ihr die Verwandtschaft am Gesicht ablesen konnte. »Und? Worum geht es?«
    »Ich will meinen Vater finden.«
    Die Anwältin räusperte sich, spitzte die Lippen und rückte den Blazer zurecht.
    »Ich kann nicht so einfach Informationen herausgeben.«
    Emma war vorbereitet. Ihre Mutter hatte ihr eine Vollmacht geschrieben. »Es geht nur um die Adresse.«
    Frau Rau überflog das Schreiben, ehe sie es wieder zusammenfaltete.
    »Ich bin gleich für dich da.« Bevor sie die Tür zugezogen hatte, drehte sie sich noch einmal um. »Sagen Sie meinem nächsten Termin, dass es etwas später wird. Fünf Minuten, mehr nicht.« Die Assistentin nickte. Dann war die Anwältin wieder verschwunden. Aus ihrem Büro war gedämpft ein Mandantengespräch zu hören.
    »Setz dich doch.« Emma ließ sich auf einem der gepolsterten Stühle nieder und wartete. Von ihrem Platz aus blickte sie auf ein Regal, in dem Broschüren auslagen. Sie studierte einen Titel nach dem anderen, ohne dass auch nur ein Wort hängen blieb. Nach einer Weile verließ der Mandant das Zimmer und verabschiedete sich.
    »Komm rein.« Die Anwältin hielt ihr die Tür auf und ließ Emma in ihr Büro. »Ich muss es kurz machen. Du verstehst.« Sie deutete mit der Hand, in der sie ihre Lesebrille nun hielt, auf die Aktenstapel. Emma setzte sich in den Sessel gegenüber, während Frau Rau in dem Schrank nach einem Ordner suchte. Als sie ihn gefunden hatte, ließ sie ihn vor sich auf den Schreibtisch fallen.
    »Hier. Seit Monaten kommen da nur die üblichen Mahnungen dazu. Antworten gibt es keine, und einen Titel zu vollstrecken, bringt auch nichts. Er ist als arbeitslos gemeldet. Hier sind drei Adressen. Wenn ich einen Tipp
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