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Das Meer in deinen Augen

Das Meer in deinen Augen

Titel: Das Meer in deinen Augen
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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sachlich.
    »Natürlich …«, entgegnete er nur leise. »Natürlich hör ich damit auf … willst du was trinken?«
    Emma schüttelte den Kopf und schlich weiter ins Wohnzimmer. Durch die Balkontür sah man einen Plastikstuhl neben einem kleinen Hocker. Darauf ein überfüllter Aschenbecher. Sie schaute sich wieder um. Nur ein durchgelegenes Sofa mit einer Decke. Und eine Leinwand. Mehr befand sich nicht in dem Zimmer. Seine Bilder dekorierten die Wände. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, Nägel einzuschlagen, und sie einfach gegen die Mauern gelehnt. Emma kannte die meisten seiner Werke noch, die inzwischen so alt wie sie waren. Neue waren keine dazugekommen. Ein paar Minuten lang betrachtete sie das größte von ihnen. Früher hatte sie das Bild geliebt. Es zeigte einen See. Ein kleines Mädchen stand auf einem Steg und spiegelte sich im Wasser. Die Farben hatte er immer so sparsam und bedacht eingesetzt, dass es den Eindruck viel gewaltiger machte.
    »Du malst noch?«
    »Ab und zu.«
    Emma ging um die Leinwand herum. Sie hoffte ganz kurz, etwas Neues, Kräftiges, Ausdrucksvolles zu sehen, aber die Leinwand war weiß. Emma wusste, dass sie immer weiß bleiben würde.
    »Dir fällt nichts ein. Hab ich recht?«, konfrontierte sie ihn kühl mit dieser Wahrheit.
    »Die Kraft … die Inspiration … sie hat mich verlassen.«
    Sie schaute zu ihm. Seine Schultern hingen tief. Das war doch lächerlich. Er hatte schließlich Mama für diese junge Frau verlassen. Und die hatte ihn wahrscheinlich schon lange sitzen lassen. Emma wo llte es nicht wissen. Inzwischen war er nur ein armseliger Künstler, der in einer tristen Hochhauswohnung lebte und weiße Leinwände anstarrte. Hassen konnte sie ihn nicht mehr. Nur schämen konnte sie sich noch für ihn. Manchmal hören die Träume einfach auf. Selbst die schlimmsten. So ging es ihr jetzt auch. Sie war wach. Hellwach in der Dunkelheit.
    »Warum machst du kein Licht an?« Sie drückte mehrmals den Schalter, aber es passierte nichts. »Ich … muss die Birne austauschen«, erklärte er und versteckte die Hände resignierend in den Hosentaschen.
    Emma wusste, dass er es nicht tun würde. Hier würde es immer dunkel bleiben. Sie schaute ihm direkt in die Augen, als könnte sie so doch noch eine Verbindung zu ihm herstellen. »Ich hoffe, du lässt dir helfen.«
    »Deswegen bist du gekommen? Um mir das zu sagen?«
    Sie rührte sich lange gar nicht. Dann schüttelte sie den Kopf und biss sich auf die Lippen, ehe sich ein schmerzhaftes Lächeln auf sie legte. Doch sie erlöste ihn nicht davon, ihm weiter in die Augen zu sehen.
    »Nein, ich habe dir nichts zu sagen.«
    »Du solltest gehen, Emma.« Er schaffte es nicht, ihrem Blick standzuhalten. Wahrscheinlich hatte er recht. Sie sollte besser gehen. Sie verließ das Zimmer und fand sich im Flur wieder. Die Tür war noch offen. Sie könnte einfach all das hinter sich lassen. Neben der Anrichte verharrte sie. Die ungeöffnete Post hatte sich hier aufgetürmt. Rechnungen. Werbung. Die Mahnungen von Frau Rau. Sie war schon drauf und dran, weiterzugehen, da fiel ihr ein weiterer Brief auf, der handschriftlich adressiert war. Der Absender war ihr Onkel. Ihr Vater würde ihn nicht öffnen. Das wusste sie. Ehe sie die Tür hinter sich schloss, zog sie den Brief unter dem Stapel hervor und steckte ihn ein. Sie wollte ans Meer zurück. Hier war sie am Ende angekommen. Dort wartete der Horizont.
    Die Jalousie zerschnitt die Sonnenstrahlen in viele schmale Streifen, von denen einer Benjamin direkt ins Gesicht fiel. Das Schulgebäude spiegelte in seinen Fenstern den blauen Himmel mit den wenigen kleinen Wolken. Eigentlich wartete ein volles Klassenzimmer auf ihn. Stattdessen hatte er mit Finn das kleine Wettbüro auf der gegenüberliegenden Straßenseite aufgesucht. Benjamin blinzelte und wandte sich ab. Ihm gegenüber saß Finn und trank eine Cola. In dem Aschenbecher vor ihnen türmte sich ein Berg ausgedrückter Zigarettenstummel. Sie hatten keine Lust auf die Fragen, die Blicke und die Sprüche. Lukas Name wurde überall geraunt. Also waren sie nach der zweiten Stunde abgehauen. Die Pause war längst um, aber in die Schule würden sie heute nicht mehr gehen. Benjamin überlegte, ob sein Leben wohl eine einzige Flucht geworden war. Es war ihm erstaunlich gleichgültig. Ein anderer Gedanke beschäftigte ihn, seit er am Morgen die Schule betreten hatte.
    »Wo ist Emma heute?«, fragte Finn.
    »Keine Ahnung.« Benjamin fühlte sich
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