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Gelegenheitsverkehr

Gelegenheitsverkehr

Titel: Gelegenheitsverkehr
Autoren: Leo Sander
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    »Ich will mein Geld«, blaffte mich eine forsche Männerstimme an. »Nur weil Franz Richter tot ist, heißt das nicht, dass ich darauf verzichten werde.«
    Das musste mein Vormieter gewesen sein. Nicht mein Problem. »Ich bin gerade eingezogen und habe nichts mit dem zu tun«, sagte ich.
    »Ah so.« Der Anrufer blieb ein paar Sekunden still.
    Ich konnte seine rostigen Gehirngeräusche förmlich hören.
    »Dann entschuldigen Sie, bitte.« Er legte auf.
    Ich wickelte das farbbespritzte Telefonkabel wieder um den Apparat. Willkommen in Kurzkirchen. Das hatte ich mir anders vorgestellt. Als ich Betthaupt und Seitenteil endlich wieder so positioniert hatte, dass sich die Schrauben hineinstecken ließen, schrillte die Türklingel.
    Probe im Wohnungsorchester oder bereits Inkassomitarbeiter? Ich ließ die Bretter fallen und schnappte meinen Schlagstock, der aus einem der offenen Umzugskartons ragte. Ich hatte den Auszug aus meiner teuren Wiener Altbauwohnung nicht besonders ordentlich vorbereitet. Außerdem war ich betrunken gewesen.
    Ich flitzte zur Tür. Mit Gewalttätern hatte ich Erfahrung. Und nach einer geschlagenen Stunde Möbelfiasko war ich auch in Stimmung dafür. Ich blickte durch den Spion, legte den Schlagstock schnell wieder beiseite und öffnete.
    Eine attraktive Blondine in dunkelblauem Businesskostüm stand da und sah zu mir hoch. Knapp Vierzig, gute Figur. Sie inspizierte mich aus großen, klugen Augen. Dezent geschminkt, winzige Linien um den leicht spöttisch verzogenen Mund. Teurer Wohlgeruch schwebte herein. Ihre strenge weiße Bluse wölbte sich ansehnlich. Golden Delicious. Ihr kinnlanges Haar war perfekt in Form, mit einem Hauch angedeuteter Nachlässigkeit, die das Frisurenstudio preislich in die gleiche Liga wie ihren Couturier rückte. Hoflieferant.
    »Guten Tag«, sagte sie zögernd mit einer angenehm dunklen Stimme.
    Dass ich in T-Shirt und zerknitterten Jeans barfuß vor ihr stand, schien sie nicht zu stören. Ich räusperte mich ausführlich. Eben noch kampfbereit, im nächsten Moment schon hilflos eingelullt.
    »Guten Morgen«, sagte ich.
    »Der Notar hat mir diese Adresse gegeben.« Sie schwenkte einen rosa Zettel. »Mein Vater hat hier gewohnt.«
    Ach so. Wie eine zu kurz gekommene Erbschleicherin sah sie gar nicht aus. »Ich bin neu eingezogen. Nichts mehr da.« Ich begann, die Tür zu schließen.
    »Ich weiß. Mein Bruder hat alles abholen lassen. Darf ich kurz reinkommen?« Sie hob bereits ein schlankes Bein.
    Wenn ich die Tür schloss, würde sie dagegen prallen. Sichere Gestik, sanft vorgetragener Befehl. Zuwiderhandlung zwecklos. Meinetwegen. Ich bedeutete ihr einzutreten.
    Sie schien kurz zu überlegen, ob sie ihre eleganten, aber ganztagestauglichen Schuhe ausziehen sollte, ließ es angesichts meiner wüsten Wohnungsbaustelle aber bleiben. Ich führte sie in die kleine Küche, wo zwischen anderen Möbelteilen zwei Stühle standen. Wir setzten uns.
    Ich sah sie an und wartete.
    »Entschuldigen Sie mein Eindringen. Ich will Sie nicht lange aufhalten. Mein Name ist Almuth Amras.« Sie betrachtete die Wiese mit den beiden Apfelbäumen des Nachbarsgrundstücks. »Mein Vater hat hier bis zu seinem Tod vor zwei Monaten gewohnt.«
    »Tut mir leid«, sagte ich. Ich zappelte etwas mit meinen nackten Zehen, ließ es dann aber aus Pietätsgründen wieder sein. »Wie kann ich Ihnen helfen?«, sagte ich.
    Durch das gekippte Fenster drang Gezwitscher. Zwei Wäschespinnen waren aufgespannt. Eine Katze saß reglos in der Frühlingssonne und starrte angestrengt auf ein Büschel Grashalme.
    »Ich wollte nur wissen, wie er gewohnt hat. Wir standen uns nicht nahe. Ich habe ihn das letzte Mal gesehen, als ich zehn war.«
    Allzu sehr in Trauer versunken war sie nicht. Eher nachdenklich. Machte sie sich Vorwürfe, dass sie sich nie um ihren Vater gekümmert hatte? Wollte sie mich als Gesprächstherapeuten missbrauchen? Ich schielte auf die auf dem Boden liegenden Schrauben. Fehlte da nicht eine?
    Sie wandte sich ruckartig zu mir und sah mich an. »Ich bin froh, dass ihn meine Mutter damals verlassen hat. Sonst hätte er sie wohl totgeschlagen.« Sie legte die Beine übereinander. Ihr enger Rock knisterte.
    Die Schrauben verblassten augenblicklich. Ich nickte verständnisvoll. Weit verbreitet, solche Familienverhältnisse.
    »Mein Bruder hat die Formalitäten geregelt, das Begräbnis und alles. Ich konnte, nein, ich wollte nicht kommen. Ich arbeite und lebe in Italien, seit Jahren schon.«
    Italien.
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