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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen
Autoren: Patricia Koelle
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Glück!“
    „Hat keinen Zweck“, sagte Miriam düster. „Bist du so blind? Der hat eine teuflische Engelsgeduld. Der wartet einfach auf das zweitausendste Mal.“

    Und so war es geblieben. Orje war geduldig für Carly da. Immer. Oft saß sie bei ihm, wenn er auf Straßenfesten spielte, hörte zu und las die Gesichter der Passanten, so wie sie es einst mit Rory getan hatte. Orje hatte nur einen Fehler: Er war nicht Thore. Aber er half ihr trauern und er brachte sie zum Lachen und er hörte zu.
    Eine Zeitlang war Carly mit einem Biologiestudenten zusammen und Orje mit einer Sängerin. Sie wollten leben, nicht ewig warten auf etwas, das nicht geschehen würde. Es war schön, und sie unternahmen viel zu viert, aber es ging vorbei, und Carlys und Orjes Freundschaft blieb.
    So saßen sie also an diesem heißen Nachmittag unter Oma Jules Zitronenbäumen und aßen Nudelsalat. Orje versuchte, sie aufzuheitern. „Du wirst einen Job finden“, sagte er. „Sterne gibt es überall.“
    „Aber keine Sternwarten oder Institute, die unerfahrene Astronomen suchen.“
    „Es wäre gut für dich, wenn du von diesem Professor wegkämst“, brummelte er, ohne sie anzusehen.
    „Wenn ich aus Berlin weg muss, sehen wir beide uns auch nicht mehr oft“, gab Carly zu bedenken.
    „Trotzdem“, sagte er. „Du siehst in dem Sjöberg doch eigentlich nur den Vater, den du nicht hattest.“
    Carly schüttelte den Kopf. Thore ... ja, vielleicht war er auch ein Vater für sie. Doch er war viel mehr. Die unwillkürlichen Blickwechsel in Gesellschaft anderer, wenn jeder wusste, was der andere dachte, die gleiche Freude an denselben Geschehnissen, demselben Buch oder dasselbe Schmunzeln über eine Begegnung, das Füreinander-da-sein ohne jemals Fragen zu stellen – es verband sie so viel. Und wenn es nur eine besondere Freundschaft war, so war das immer noch etwas Wunderbares. Dass Orje Thore aus Eifersuchtsgründen in der Ersatzvaterrolle sehen wollte, war allerdings verständlich. Es wäre auch logisch gewesen, dass Carly auf Ersatz aus war. Orje wusste, wie sehr sie seine Großfamilie mochte, die Wuseligkeit, das Stimmengewirr, die Umarmungen. Das Lachen, das aufbrandete, wann immer Fiedlers zusammen waren, und wenn es beim Geschirrspülen war, und das alle einbezog. In Carlys Leben war das nie vorgekommen. Zumindest konnte sie sich nicht daran erinnern. Sie war sechs gewesen, als sich ihre Welt veränderte, und wusste nur, was der wortkarge, kühle Ralph ihr erzählt hatte. Tante Alissa redete nie darüber.
    „Alissa kehrt grundsätzlich alles Wichtige unter den Teppich“, hatte sie einmal eine Nachbarin sagen hören. Seitdem war sie überzeugt, dass der Tod unter dem roten Teppich im Wohnzimmer lebte. Auf dem Teppich war ein schwarzes Muster, das grimmigen Löwenköpfen ähnelte. Und drum herum die Fransen, die mit ihnen den Tod bewachten.

    „Hättest du dich nicht wenigstens in Rune verlieben können?“, fragte Orje. „Der ist nur drei Jahre älter als du, wusstest du das?“
    Rune. Thores kleiner Halbbruder. Sie hatten ihn auf einer von Thores Geburtstagspartys kennengelernt und Orje freundete sich sofort mit ihm an, weil er mitreißend Mundharmonika spielte. Rune war völlig anders als Thore. Ein Bär von einem Mann mit einem donnernden, herzlichen Lachen. Er lebte in Thores Heimat Dänemark und hatte einen hinreißenden Akzent. Carly hatte mit ihm getanzt und herumgealbert und sich dabei die ganze Zeit heimlich nach Thore umgesehen. Rune hatte zu den Melodien gesungen, mit einer wunderschönen Bassstimme, und dabei immer wieder die Töne dermaßen versemmelt, dass sie nur am Kichern gewesen war. Zum Glück fand sich Rune selbst komisch.
    „Ich dachte eigentlich, der wäre was für Miriam“, meinte sie. „Aber wer weiß, am Ende werde ich ihn womöglich fragen müssen, ob er mir einen Job in Dänemark besorgen kann.“

3. Post, Abschied und das himmlische Katzenauge
     

    Carly war erst halb wach nach dem langen Abend bei Orje, wusste aber sofort, was der morgendliche Krach, das anschließende Schleifgeräusch und der laute Fluch zu bedeuten hatten. Hastig stellte sie ihre Teetasse ab, lief aus der Haustür.
    „Herr Wielpütz, haben Sie sich verletzt?“
    Sie zog das umgestürzte Fahrrad vorsichtig von dem Briefträger weg, der verschämt grinsend im Rinnstein lag, stellte das eine auf und reichte dem anderen eine Hand, um ihn hochzuziehen.
    „Aber nein, Frau Templin, ich doch nicht!“ Er strahlte sie an.
    Gemeinsam
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