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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen
Autoren: Patricia Koelle
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wusste natürlich, dass sie noch nie Nein gesagt hatte. Wie froh sie über diese kleine Galgenfrist und die Ablenkung war, ahnte er wahrscheinlich nicht.
    Kaum hatte sie aufgelegt, rief Miriam an. „Kommst du mit schwimmen? Zum Insulaner?“
    „Kann nicht, muss arbeiten.“
    „Das hat ja zum Glück bald ein Ende. Na gut, dann frag ich Orje.“
    „Mach das. Viel Spaß!“
    Vielleicht würde es ja doch noch klappen zwischen Orje und Miriam, dann brauchte sie ihm gegenüber auch nicht mehr dieses diffuse schlechte Gewissen haben.

    Carly schnitt eine Rose von Abrahams langen Armen, radelte zur Uni, fischte den beträchtlichen Stapel Bücher aus dem üblichen Chaos und brachte den Kopierer im Flur auf Touren. Sie kannte seine Macken, wusste, wie man den Papierstau entfernte und wo man dagegen hämmern musste, wenn er streikte. Die Stunden, die sie mit dem brummigen alten Gerät verbracht hatte, waren längst nicht mehr zählbar. Irgendwie hing sie sogar an dieser Maschine. Sie schalt sich eine sentimentale Ziege, legte den Stapel Kopien ordentlich beschriftet auf den Tisch und stellte die Rose in ein Marmeladenglas, das sie schon oft mit Blumen gefüllt hatte, um die kühle Nüchternheit des Büros zu erschüttern. Sie konnte nicht anders. Wenigstens waren Abrahams Blüten ja nicht ungehörig rot. Der Duft mischte sich in den Geruch des Kopiertoners.
    Als sie die Bürotür zum letzten Mal abschloss, klingelte ihr Handy erneut. Thore.
    „Bist du fertig? Ich kann dich abholen, bin schon fast auf dem Parkplatz. Wenn du Zeit hast, könnte ich noch deine Hilfe in der Sternwarte gebrauchen. Bring die Kopien bitte mit.“
    Im Auto saßen Rita, seine Frau, und die Zwillinge Paul und Peer, die Carly hatte heranwachsen sehen und auf die sie oft aufgepasst hatte. Carly wurde mit lautem Hallo begrüßt; sie hatten sich von Anfang an verstanden, alle, auch Carly und Rita.
    „Ich setz die anderen bei meiner Schwiegermutter ab, dann fahren wir noch ins Gartencenter und in die Sternwarte“, erklärte Thore.

    Im Gartencenter steuerte er auf die Teichabteilung zu. „Wir brauchen Pflanzen für den Teich im Sternwartegarten. Du hast mehr Ahnung als ich, was nehmen wir?“
    Hinter der Sternwarte gab es einen kleinen Kräutergarten, Obstbäume, ein Stückchen Rasen und den Teich. Hin und wieder werkelte jemand in den Beeten herum; Carly hatte es gern getan. Vor Monaten waren Rohre auf dem Grundstück verlegt worden. Dazu musste der Teich geleert und die ganze riesige Plastikschale aus der Erde gehoben werden. Seitdem stand sie verloren an die Hauswand gelehnt. Heute hatte sich Thore, der Gärten liebte ohne viel darüber zu wissen, aus irgendeinem Grund in den Kopf gesetzt, den Teich wiederzubeleben.
    Carly suchte also Seerosen, Fieberklee, Schwanenblumen und Schwertlilien aus und war froh, dass sie ihre alten Jeans anhatte. Zum Schluss stopften sie den Kofferraum voller Säcke mit Teicherde. Als sie die im Sternwartegarten wieder ausgeladen hatten, waren Carly und Thore schon beide von oben bis unten mit Schlamm bespritzt und grinsten sich im gewohnten stillen Einverständnis über die schmutzigen Stapel hinweg an. So liebte Carly ihn am tiefsten: wenn dieser Mann der Sterne der Erde so nahe war. Dann war er am klarsten er selbst.
    Sie erinnerte sich an einen Märztag, an dem sie nach Seminarende einen Spaziergang durch den Botanischen Garten machen wollten. Dort war kein Einlass mehr, es war zu spät. Thore ließ sich jedoch nie von etwas abbringen, das er sich vorgenommen hatte.
    „Komm“, sagte er und zog sie um die Ecke, wo ein verschlossenes, unbenutztes Gartentor den dornenbewehrten Zaun unterbrach. Darunter war ein Spalt, ein paar Handbreit hoch. „Wir kriechen!“ Schon zog er sein Jackett aus, drückte es ihr in die Hand und robbte sich auf dem Bauch hinüber.
    „Und wenn sie uns erwischen?“
    „Komm schon!“
    Er trug sein Lausbubengrinsen; wer konnte da widerstehen? Er würde es auch auf sämtliche Parkwächter anwenden. Mit Erfolg. Carly reichte ihm die Jacke durch die Gitterstäbe und folgte ihm. Wie immer. Erdverschmiert und glücklich durchstreiften sie in der schrägen Abendsonne die taufeuchten Anlagen, bis die Dämmerung das Licht verschluckte und am Himmel die Venus zwinkerte. Sie sah Thore noch heute vor sich, wie er auf der weiten Krokuswiese stand. Die meisten Menschen wissen nicht, dass Krokusse duften. Carly aber konnte den Geruch jenes Tages noch immer in ihrer Erinnerung wecken, und das Violett und
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