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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen
Autoren: Patricia Koelle
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Carly den Tod so nachdrücklich, dass sie ihn und alle Vorsicht vergaß und wirklich zu leben begann.

    Und jetzt? Nun, da sich Thores und ihre Wege trennen würden, was würde geschehen? Sie hatte nie darüber nachdenken wollen, aber jetzt, da es so weit war, hatte sie das Gefühl, dass nichts mehr sicher war.
    Carly seufzte, wischte mit einem feuchten Papier über ihr Gesicht und wagte sich aus dem kühlen Lokal wieder hinaus in den Sommer.

    Die Menge grüner Hände an den Kastanienbäumen winkte die klebrige Julihitze über den Biergarten hinweg. Nur gelegentlich öffnete ein kräftigerer Windstoß eine Lücke. Dann huschte Sonnenlicht über den Kies, ließ die verschiedenen Flüssigkeiten in halbvollen Gläsern aufleuchten und warf für einen Moment einen silbernen Schimmer auf die kurzen schwarzen Haare Thore Sjöbergs.
    Carly war seit Jahren seine studentische Hilfskraft gewesen. Obwohl sie ihr Studium abgeschlossen hatte, hatten sie den Vertrag zweimal verlängern können, weil sie mit bestimmten Daten eingearbeitet war und sich mit der Planung der astronomischen Tagung auskannte. Die war nun vorüber und ihre Zeit mit Thore auch. Sie musste sich einen Job suchen, was für frischgebackene Astronomen fast schwieriger war, als einen neuen Kometen zu entdecken. Aber das erschien ihr weniger bedenklich als die Aussicht, nie wieder täglich mit Thore zusammenzuarbeiten. Dieser Schrecken, den sie gerade noch so entschlossen hinuntergeschluckt hatte, breitete sich bei seinem vertrauten Anblick sofort wieder in ihr aus und ließ das Brausen der Hauptstadt und das Stimmengewirr um sie herum zusammenfallen in eine wattedicke Stille, in der sie allein war.
    „He, Carly!“ Jemand stieß sie in die Seite, so dass sie ihre Apfelschorle auf das rotkarierte Wachstuch verschüttete. Dankbar ließ sich eine Fliege darauf nieder. Wenigstens eine, die sich freute.
    „Was?“
    „Hast du schon das Poster mit den Messergebnissen fertig? Für die Ausstellung im Planetarium?“, fragte Julius, ein übereifriger Student aus dem zweiten Semester, der es nicht erwarten konnte, dass sein Name an einer Wand hing, egal wie kleingedruckt. Carly konnte ihn verstehen; es war noch nicht so lange her, dass es ihr genauso gegangen war. Jetzt waren ganz andere Dinge wichtig.
    Sie lächelte ihm beruhigend zu. „Na klar. Ich hänge es morgen auf.“

    Sie war noch jünger als Julius gewesen, als sie Thore kennenlernte. Neunzehn. Es war ihr allererster Tag an der Uni. Sie hatte seine Veranstaltung nur gewählt, weil im Verzeichnis stand: „Vorlesung. Von Roten Riesen und Weißen Zwergen. Professor Thore Sjöberg.“ Alle anderen Veranstaltungen waren Seminare. Da muss man bestimmt etwas sagen, dachte Carly, aber in einer Vorlesung braucht man nur zuhören. Für den Anfang erschien ihr das verlockend. Außerdem fand sie den Titel schön. Zwar wusste sie, dass Rote Riesen und Weiße Zwerge bestimmte Stadien im Leben eines Sterns bezeichneten. Aber es klang tröstlich märchenhaft. Noch fühlte sie sich verloren in der weitläufigen Uni. Fremd. Sie suchte ewig nach dem Raum mit der Nummer 114. Doch am Ende fand sie ihn, und bald war es, als führten hier für sie alle Wege zu Thore Sjöberg.
    Da Carly zwar gerade noch pünktlich, aber als eine der Letzten kam, musste sie sich auf einen der leer gebliebenen Plätze ganz vorn setzen. Offenbar fühlten sich die anderen Erstsemester ebenso unsicher und hatten sich nach hinten verkrümelt. Der Professor fegte direkt nach ihr herein, nahm die Kurve eng und blieb vor der Tafel stehen. Aus dem Stapel Papier, den er unter den Arm geklemmt hatte, segelten einige Seiten neben Carlys linken Fuß. Sie hob sie auf und reichte sie ihm.
    So traf sie schon in der ersten Minute auf das Verblüffende seines schnellen Lächelns, das fortan in ihrem Leben hängen blieb. Mal im Vordergrund, mal hintergründig, aber unverrückbar gegenwärtig wie eine alte Zeichnung an der Wand, die immer wieder durch den neuen Anstrich scheint.

    Einen langen Augenblick blieb er stehen und sah Carly nachdenklich an. Eine kurze Stille entstand zwischen ihnen, schwebte beinahe greifbar im Raum, bis er weiterging. Danach würdigte er sie während seines Vortrags keines Blickes mehr. Warum auch, sie war eine von vielen. Er war eifrig bemüht, diesen Vielen die Weißen Zwerge näher zu bringen, ihre Oberflächentemperatur und was sie bedeutete. Er langweilte nicht mit zu viel Zahlen, sondern flocht Mythen und Sagen zu den betreffenden
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