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Das Meer in deinem Namen

Das Meer in deinem Namen

Titel: Das Meer in deinem Namen
Autoren: Patricia Koelle
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welche zurückbrachte, und setzte sich für ihn mit dem Kopierapparat auseinander, wenn ihm die Zeit fehlte. Es hatte sich so ergeben.
    In der Sommerpause bemerkte sie, dass ihr sein Lächeln fehlte und sein Tanz vor der Tafel, seine ausholenden Gesten zu den Sternen hin.
    „Das ist furchtbar peinlich!“, vertraute sie dem Rasenmäher an. „Es könnte sein, dass ich mich in meinen Professor verliebt habe. Was für ein Klischee! Schlimmer geht’s nicht.“
    Obendrein war Thore verheiratet, mit einer sehr sympathischen rothaarigen Frau, und Zwillinge hatten sie auch. Er hatte ihr die Familie einmal vorgestellt, als sie ihn im Büro abholten. Carly beschloss, in Zukunft einen großen Bogen um Thore Sjöberg zu machen. Das konnte so schwer nicht sein. Die Uni war weitläufig genug, die Fakten und Geschichten über die himmlischen Zwerge und Riesen kannte sie nun, und sie musste Studienarbeiten schreiben und sich auf Prüfungen vorbereiten.
    Im Herbst klügelte sie sich für das neue Semester einen Stundenplan aus, der leider am Freitagvormittag zwei unvermeidbare Freistunden aufwies.
    „Komm doch mit“, sagte Daniela, mit der sie sich angefreundet hatte. „Da gibt es ein spannendes Seminar über Sonnenflecken; da will ich reinschnuppern. Allein hab ich keine Lust.“
    „Na gut, wenn du mir mit dem Computerkurs hilfst …“
    „Geht in Ordnung.“
    Carly trottete hinter Daniela in den Seminarraum und grübelte dabei immer noch über ihren Stundenplan. Da segelte ein Blatt Papier vor ihre Füße. Sie wusste es, bevor sie den Blick hob. Thore Sjöberg stand vor ihr, und sein Lächeln war in den Sommermonaten keine Spur dunkler geworden.
    „Es ist eine Stelle für eine studentische Hilfskraft ausgeschrieben“, sagte er, „hast du Lust?“
    „Ähm ...“ Carly dachte an ihren allzu vollen Plan. Aber auch an ihr Konto. „Bin ich denn dafür qualifiziert? Und gibt es nicht jede Menge Bewerber?“
    „Ich habe die Stelle ja so ausgeschrieben, dass sie nur auf Sie passt.“ Er strahlte sie an, seiner Sache sicher. Es war das letzte Mal, dass er Carly mit „Sie“ angeredet hatte.

    In den folgenden Jahren gab es kaum einen Tag ohne Thore. Er war ein Workaholic und hatte häufig auch noch am Spätnachmittag etwas für sie zu tun, verbrachte mehr Zeit in der Uni oder der Sternwarte als zu Hause. Oft saßen sie an den Abenden in Biergärten, nicht anders als heute. Allein, wenn es etwas zu organisieren oder diskutieren gab, oder mit Studentengruppen, die sie gemeinsam betreuten. Carly konnte sich nicht vorstellen, wie ihr Alltag ohne ihn aussehen sollte. Die Zukunft schien kahl, unbewegt und brüchig ohne seine Geschichten und Gesten, ohne die Funken in seinen Augen, die nie ihr, sondern immer dem Leben galten. Und ohne seine offenen Schnürsenkel.
    Von Anfang an waren sie nie nur Professor und Studentin gewesen. Zwischen ihnen war etwas Erfrischendes, Unzerbrechliches, eine rätselhafte Schwingung, eine wie selbstverständliche Verbindung, die in keine Schublade passte. Sie würde wohl nie dahinter kommen, was es war.
    Oder bildete sie sich alles nur ein und er hatte sich seinerseits nur an sie gewöhnt wie Professor Higgins an Eliza? Obwohl der Vergleich gefährlich war. Immerhin gab es unterschiedliche Versionen dieser Geschichte.

    Sein Blick traf ihren über den Tisch hinweg, während er der allzu blonden Studentin neben sich lauschte. Er lächelte Carly zu; er kannte sie zu gut, wusste genau, was sie dachte.
    „Willst du auch noch was trinken?“, fragte der gelockte Student von vorhin.
    Sie beobachtete Thores Hände, die Bilder in die Luft malten, um die Form eines neu entdeckten Sternennebels zu beschreiben.
    „Ja, bitte. Dasselbe.“ Solange das schräge Licht den Saft in ihrem Glas sommergolden leuchten ließ, würde dieser Abend vielleicht einfach nie vorbeigehen.

2. Alte Töne und wer die Welt dreht
     

    Wochenende. Dem Wind war der Atem ausgegangen und die Schritte der Menschen waren schwer, als hätte die Hitze die Straßen verstopft. Manchmal hasste Carly die Stadt, in der sie aufgewachsen war. Oft sehnte sie sich nach weitem Land, nach sauberer Luft. Ihre Hausmeisterwohnung war noch relativ kühl, aber sie hielt es an diesem Nachmittag trotzdem nicht dort aus. Der Nudelsalat, den sie sich gemacht hatte, reichte mindestens für zwei. Sie steckte ihn in ihren Rucksack und radelte zum Hinterhof der Großfamilie Fiedler, die nach und nach fast ein ganzes Mietshaus geentert hatte. Bei Orje Fiedler fand
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