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Seine einzige Versuchung

Seine einzige Versuchung

Titel: Seine einzige Versuchung
Autoren: Ann Westphal
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Prolog
    Zum ersten Mal seit der Trennung waren sie sich begegnet - unverhofft und völlig unvorbereitet. Dabei war es nur eine Frage der Zeit gewesen, wann sie sich zufällig über den Weg laufen würden. Und nun war es geschehen.
     
    „Fräulein Preuß?“ Elli reagierte nicht sofort. Sie hatte sich mit ihrem Mädchennamen in die Gästeliste der Pension eingetragen, weil sie nicht unter ihrem richtigen Namen erkannt werden wollte. Die unerwartete Begegnung mit Benthin hatte sie aufgewühlt. Sie kämpfte mit den Tränen - so wie jedes Mal, wenn sie an ihn dachte. Die Quelle erschien unerschöpflich. Seit Wochen schon wurde sie unerbittlich von ihrem Kummer gequält. Während der Fahrt zur Pension hatte sie beschlossen, sich auf den Weg zu dem kleinen, versteckten See zu machen, den sie vor ein paar Tagen bei einem Spaziergang im Wald durch Zufall entdeckt hatte. Etwas Bewegung an der frischen Luft würde ihr guttun. Außerdem kam ihr eine Abkühlung im See angesichts der sommerlich anmutenden Temperaturen gelegen - für Mitte Mai war es ungewöhnlich warm in diesem Jahr. Elli konnte sich nicht mehr genau erinnern, wie man zum See gelangte. Sie machte einen kurzen Abstecher in die Küche, um jemanden nach dem Weg zu fragen. Dort traf sie auf eine Aushilfe, die sich in der Gegend leider nicht auskannte. Das aufgeweckte Mädchen bot ihr jedoch an, die Pensionswirtin zu suchen, die nun herbeieilte. Eine alleine reisende Frau war zur damaligen Zeit nicht unbedingt an der Tagesordnung, so dass ihr das junge Fräulein Preuß schon gleich am Tag ihrer Ankunft aufgefallen war. Dank einer ordentlichen Portion Lebenserfahrung begegnete die Wirtin auch außergewöhnlichen Gästen ohne Vorurteile. Zwar wurde jeder Pensionsbewohner von ihr gleichermaßen zuvorkommend behandelt, doch aus unerfindlichen Gründen fühlte sie für Elli eine besondere Verantwortung. Das mochte daran liegen, dass die junge Frau augenscheinlich auf sich gestellt war, vielleicht war es auch Ellis spürbare Traurigkeit, die den Beschützerinstinkt der Wirtin weckte. Insgeheim fragte sie sich, wie es dazu hatte kommen können, dass eine gebildete Frau aus offensichtlich gutem Elternhaus in eine Lage geraten war, die es erforderlich machte, sich wochenlang in einer Pension einmieten zu müssen. Ihre Menschenkenntnis verriet ihr zumindest so viel, dass Elli eine mutige und unangepasste Frau war, die vermutlich in Schwierigkeiten steckte. Sie sprach die junge Frau ein zweites Mal an:
    „Wie kann ich Ihnen helfen, Fräulein Preuß?“ Elli entschuldigte sich für ihre verspätete Reaktion und fragte nach dem Weg. Wenig später brach sie mit weichen Knien zum See auf. Sie hätte niemals geahnt, wie nahe ihr Benthins Anblick gehen würde, nachdem sie ihm zufällig in der Stadt begegnet war. Vor einigen Wochen hatte sie ihn verlassen und übergangsweise eine Bleibe in der kleinen Pension am Stadtrand gefunden - eine Rückkehr zu ihren Eltern kam für Elli nicht infrage. Genauso wenig konnte sie zu ihm zurückgehen. In seinen von Schlafmangel gezeichneten Augen hatte sie Schmerz und Fassungslosigkeit gesehen. Was geschehen war, konnte nicht mehr rückgängig gemacht werden. Ihr Fehler war unverzeihlich, wenngleich Benthin maßgeblich daran beteiligt gewesen war, dass es überhaupt so weit hatte kommen können.
     
    Elli liebte die Natur und die Bewegung an der frischen Luft. Beides half ihr, sich für das zu sammeln, was die Zukunft an Umstellungen mit sich bringen würde. Vermutlich kamen nicht gerade angenehme Veränderungen auf sie zu. Sie würde all ihre Kräfte brauchen, um sich alleine ein neues Leben aufzubauen. Ihr gesellschaftliches Ansehen und das ihrer Familie waren vermutlich ohnehin bereits ruiniert. Doch derartige Fragen kümmerten sie im Moment wenig. Abermals ließ sie die vergangenen Ereignisse vor ihrem geistigen Auge ablaufen. Es entsprach so gar nicht ihrem Naturell, sich endlos mit nervenzermürbenden Grübeleien zu quälen. Doch das, was in den letzten Monaten geschehen war - mitsamt dem verhängnisvollen Ende - beschäftige sie unentwegt. Rückblickend erschien ihr die jüngste Vergangenheit beinahe albtraumhaft unwirklich. Oft schon hatte sie sich in den letzten Wochen gewünscht, es handele sich tatsächlich nur um einen schlechten Traum. Doch die bittere Realität ließ sich nicht leugnen: sie hatte einen Mann geheiratet, der sie offensichtlich nicht liebte. Seine unerwiderte Liebe hatte sie empfänglich für die Aufmerksamkeiten eines
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