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Der Himmel so fern

Der Himmel so fern

Titel: Der Himmel so fern
Autoren: Kajsa Ingemarsson
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So spät am Abend waren die Parkplätze knapp. Auf der schmalen Straße rollte ein dunkelblauer Audi langsam an den vielen abgestellten Wagen vorbei, deren Fahrer schon Stunden zuvor ausgestiegen waren, um in die hellen, warmen Stuben der anliegenden Häuser zu verschwinden. Der Audi fuhr nun nur noch Schritttempo und hielt auf der Höhe eines grauen Kombis. Hinter dem Wagen, irgendeine asiatische Automarke, befand sich noch eine kleine Parklücke, die von jenen, die vorher hier gewesen waren, wegen ihrer Enge wahrscheinlich nicht in Betracht gezogen worden war.
    Problemlos parkte die Fahrerin rückwärts ein. Ein paarmal vor und zurück, dann stand der Wagen mit ein paar Zentimetern Abstand tadellos. Die Frau, die am Steuer saß, öffnete die Fahrertür und stieg aus. Ein scharfer Wind schlug ihr entgegen, fuhr um die Häuser und über die Dächer. Zudem hatte es angefangen zu schneien. Ganz wenig nur, es würde noch lange dauern, bis es richtig Winter war, doch ein paar Schneeflöckchen wirbelten vereinzelt durch die Luft, bevor sie auf den nassen Boden fielen und schmolzen.
    Ihre Pfennigabsätze klackerten auf dem Asphalt, als sie die Straße überquerte. Auf halber Höhe hielt sie an und machte kehrt. Noch einmal öffnete sie die unverschlossene Wagentür. Eilig zog sie ihren Mantel aus, legte ihn zusammen und platzierte ihn neben ihrer Aktentasche, die sie auf dem Rücksitz liegengelassen hatte. Der dünne Blazer, den sie darunter trug, ließ die Kälte durch, und sie erschauerte, als ein Windstoß unter den schwarzen Stoff fuhr, direkt über ihre Haut. Zum zweiten Mal überquerte sie die Straße. Dieses Mal hielt sie nichts auf, und ein paar Sekunden später stand sie am Geländer auf der anderen Straßenseite und sah von dem Felsvorsprung, wo Straßen und Wohnviertel endeten, hinüber auf die Stadt. Von hier aus hatte man einen herrlichen Ausblick, so beeindruckend, dass Touristen gerne hier anhielten. Aber nicht an einem Abend wie diesem.
    Die Frau schloss ihre Hände um das Geländer. An vereinzelten Stellen war die Farbe abgeplatzt, und sie bemerkte zwischen ihren Fingern kleine braune Krümel vom feuchten Rost. Im Schein der Straßenlaternen sah der Farbton exakt aus wie ihr Nagellack. Ein Zufall, den niemand später kommentieren würde. Einen Moment lang stand sie völlig regungslos da, aber als der kalte Wind wieder durch ihren Blazer blies, spannte sich ihr zierlicher Körper an, und sie begann zu zittern. Einen Augenblick lang schien sie verwirrt, als wisse sie nicht, wo sie sei und was sie dort mache, doch dann wurde ihr Blick wieder zielstrebig und klar. Mit den Zehenspitzen streifte sie ihren linken Schuh ab und setzte den Fuß auf die Erde, den anderen Schuh zog sie mit der Hand aus. Sie nahm das schwarz glänzende Paar und sah sich um. Dann trat sie einen Schritt zur Seite und stellte ihre Schuhe auf das niedrige Fundament des Geländers. Nun stand sie nur in dünnen Nylonstrümpfen direkt auf dem Boden, aber sie schien weder Kälte noch Nässe zu spüren.
    Wieder verstrich etwas Zeit. Vielleicht einige Sekunden, vielleicht eine Minute. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite lief ein Mann mit seinem Hund vorbei. Er blickte über die Autodächer der parkenden Wagen und nahm Notiz von der Frau, die dort stand und still zur Stadt hinübersah. Später würde er zu Protokoll geben, dass er sich noch gewundert hatte, sie an diesem kalten Abend so dünn bekleidet zu sehen. Nur Blazer und Rock. Die Schuhe waren ihm nicht aufgefallen. Dass sie barfuß war, die teuren Pumps auf dem Stein einen Meter neben ihr. Ordentlich hingestellt wie in einem Regal im Schuhgeschäft.
    Abgesehen von diesem Mann mit seinem Hund und einem Auto, das vergeblich nach einem Parkplatz suchte, war sie ganz allein. Ohne sich umzusehen, zog sie ihren Rock über den Oberschenkel und hob ihr Bein über das Geländer. Erst das eine, dann das andere. Sie musste sich wirklich Mühe geben, denn es war nicht vorgesehen, dass man darüberkletterte, und als sie auf der anderen Seite stand, hatte sie nicht mehr als zehn Zentimeter Platz, auf denen sie noch balancieren konnte. Von unten war Straßenlärm zu hören, allerdings um diese Tageszeit nicht mehr viel. Sie sah nicht hinunter, sie kannte den Ausblick, da gab es jetzt nichts zu sehen.
    Dann schloss sie die Augen und atmete tief durch die Nase ein. Noch eine Sekunde, dann ließen ihre Finger das Geländer los. Die Füße tasteten langsam ins Leere. Eine kräftige Böe, sie verlor die
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