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Der grüne Tod

Der grüne Tod

Titel: Der grüne Tod
Autoren: Alan Dean Foster
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    Wenn schon alle Welt hinter mir her ist, dachte Flinx, wäre ich besser mit Augen am Hinterkopf geboren worden. Im Grunde war er das, in gewisser Weise.
    Zwar konnte er nicht nach hinten sehen – nicht im eigentlichen Sinn des Wortes, nicht visuell –, aber er konnte nach hinten »fühlen«. Die meisten empfindungsfähigen Wesen erzeugten auf der emotionalen Ebene, die Flinx von Zeit zu Zeit wahrzunehmen und zuzuordnen vermochte, ganz bestimmte Muster. Je nach der äußerst wankelmütigen Sensitivität seiner Fähigkeit war Flinx in der Lage, Zorn, Furcht, Zuneigung, Kummer, Schmerz, Freude oder auch einfach nur Zufriedenheit bei anderen zu erspüren. So wie normale Leute Hitze oder Kälte, Nässe oder Schwüle, etwas Scharfkantiges oder etwas Stumpfes mit ihren Sinnen unterschieden.
    Die Gefühlszustände anderer Wesen drängten sich mit einem leichten Stechen oder Zerren oder wie eine eisige Ahnung in seinen Verstand. Manchmal meldeten sie sich mit einem leisen Pochen oder freundlichen Hallo an der Pforte seines Bewusstseins, und manchmal, wesentlich häufiger, mit einem wilden Hämmern, das er, trotz heftigster Bemühungen, nicht imstande war zu ignorieren.
    Jahrelang hatte er in der Überzeugung gelebt, dass jegliche Verfeinerung seines Talents für ihn nur von Vorteil sein könne. Inzwischen war er sich da nicht mehr so sicher. Seine wachsende Sensitivität hatte ihm bloß immer größeren persönlichen Verdruss und privates Chaos beschert. Und so hatte er schließlich herausgefunden, dass die Welt der Gefühle ein aufwühlender, leidenschaftlicher, vielschichtiger, im Allgemeinen jedoch zumeist unerfreulicher Aufenthaltsort war. Zu Zeiten, in denen er besonderes empfänglich dafür war, brandeten die Emotionen wie erbarmungslose Ozeanwellen über ihn hinweg, prügelten und schunden seine Psyche und ließen dabei kaum Platz für seine eigenen Empfindungen. Für Außenstehende war von alldem nichts zu erkennen. Jahre der Übung hatten es ihm ermöglicht, den Aufruhr, der in ihm tobte, geschickt zu kaschieren.
    Sehr zu seinem Leidwesen wurde es jedoch mit zunehmendem Alter eher schwieriger denn leichter, die Maskerade aufrechtzuerhalten.
    Für gewöhnlich konnte er sich den emotionalen Projektionen anderer dadurch entziehen, dass er einen gewissen Abstand zwischen sich und dem Rest der Homanx-Bevölkerung wahrte. Doch mittlerweile, nachdem seine Sensitivität zunehmend stärker geworden war, fand er diese Form von Frieden nur noch in den Tiefen des interstellaren Raums.
    Dennoch war seine Lage nicht vollends hoffnungslos. Mit fortschreitendem Alter hatte er auch mehr und mehr die Fähigkeit erlangt, die meisten der im Hintergrund rumorenden schwächeren Gefühlsströme auszublenden. Die kleinen stummen Verwünschungen in Zusammenhang mit einem Ehestreit, das belanglose Gezänk von Kindern, in aller Stille genährter Hass, heimliche Liebe: All dies vermochte er auf ein Grundrauschen im Hinterstübchen seines Bewusstseins zu reduzieren. Zwar konnte er im Beisein anderer nie völlig entspannen, doch herrschte andererseits in seinem Geist auch kein beständiger Tumult. Aber wann immer sich ihm die Wahl bot, zog er die Stadt der Metropole vor, das Dorf der Stadt, dem Dorf die unbewohnte Natur. Und allem anderen die unbelebte Ödnis.
    Gleichwohl wuchsen mit zunehmender Kontrolle über sein unberechenbares Talent auch seine Sorgen, und er sah sich mit immer neuen Ängsten und Unsicherheiten konfrontiert.
    Während er Pip dabei beobachtete, wie sie geräuschlos über die ovale Glastischplatte glitt und nach herabgefallenen Salz- und Zuckerkrümeln suchte, stellte Flinx sich nicht zum ersten Mal die Frage, wohin das alles noch führen sollte. Je älter er wurde, desto stärker wurde seine Sensitivität. Würde er eines Tages womöglich noch in das Gefühlsleben von Insekten eingeweiht werden? Was, wenn am Ende schon deprimierte Bakterien ausreichten, bei ihm jene wohl bekannten Kopfschmerzen heraufzubeschwören?
    Er wusste, dass das niemals eintreten würde. Nicht, weil es theoretisch nicht vorstellbar war – er stellte, was sein Nervensystem betraf, eine solche genetische Ausnahmeerscheinung dar, dass schlichtweg alles vorstellbar war –, sondern weil er, lange bevor er diesen Grad an Sensitivität erreichen konnte, mit Sicherheit den Verstand verlieren würde. Wenn schon seine entsetzlichen Kopfschmerzen ihn nicht in den Wahnsinn trieben, dann auf jeden Fall der gigantische Informationsüberfluss.
    Er saß ganz
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