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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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hatte. Die Wut des großen Waldes war nun besänftigt, so hatten ihm die Lios Alfar erzählt. Es hatte zu tun mit Lancelot und Darien und mit der endgültigen Befreiung von Lisen, als ihr Diadem in Starkadh aufflammte. Dave verstand diese Dinge nicht wirklich, aber eines war ihm klar, und er hatte sein Horn mit sich an diesen Ort gebracht.
    Mit einer Geduld, die für ihn neu war, stand er da. Er beobachtete, wie die Schatten auf dem Waldboden und in den Blättern über ihm hin und her huschten. Er lauschte den Geräuschen des Waldes, versuchte zu denken, sich selbst und seine eigenen Wünsche zu verstehen.
    Aber es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren, weil er auf jemanden wartete.
    Und dann hörte er hinter sich ein Geräusch, das sich von den anderen unterschied. Trotz all seiner inneren Vorbereitungen begann sein Herz zu rasen, er wandte sich um, kniete dabei nieder und senkte den Kopf.
    »Du kannst aufstehen«, sprach Ceinwen ihn an. »Unter allen Menschen solltest du wissen, dass du aufstehen darfst.«
    Er blickte auf und sah sie wieder: Wie immer war sie in Grün gekleidet und hatte den Bogen in der Hand. Es war jener Bogen, mit dem sie ihn fast an einem Teich im Faellinhain getötet hätte.
    Nicht alle müssen sterben, hatte sie in jener Nacht gesagt, und so hatte er weitergelebt, hatte ein Horn und eine Axt erhalten, um damit zu kämpfen, um die Wilde Jagd zu rufen und um schließlich an diesen Ort zurückzukehren.
    Vor ihm stand strahlend und herrlich die Göttin, aber sie hatte das Strahlen ihres Antlitzes gedämpft, so dass er auf sie blicken konnte, ohne mit Blindheit geschlagen zu werden.
    Er stand auf, als sie ihn dazu aufforderte. Er holte tief Luft, um das Pochen seines Herzens zu beruhigen. Er richtete das Wort an sie: »Göttin, ich bin gekommen, um mein Geschenk zurückzugeben.« Er war froh zu sehen, dass seine Hand nicht zitterte, als er ihr das Horn entgegenhielt. »Dieser Gegenstand ist zu mächtig für mich, als dass ich ihn behalten könnte. Ich glaube, er ist für alle sterblichen Menschen viel zu mächtig.«
    Ceinwen lächelte, sie war wunderschön und schrecklich. »Ich dachte, dass du kommen würdest«, erwiderte sie, »ich habe auf dich gewartet. Andernfalls hätte ich dich aufgesucht, bevor zu weggegangen wärest. Ich habe dir mehr gegeben, als ich dir mit diesem Horn geben wollte.«
    Und dann fuhr sie in sanfterem Ton fort: »Was du sagst, ist nicht falsch, Davor von der Axt. Das Horn muss wieder versteckt werden, um viele, viele Jahre später wieder gefunden zu werden, und es wird dann eine wirkliche Entdeckung sein …«
    »Ohne dieses Horn wären wir am Andain gestorben«, stellte Dave ruhig fest. »Heißt das nicht, dass es eine wirkliche Entdeckung war?«
    Wieder lächelte sie unergründlich und kapriziös. Sie bemerkte leichthin: »Seit wir uns das letzte Mal getroffen haben, bist du klüger geworden. Vielleicht wird es mir leid tun, dass du gehst.«
    Darauf wusste er nichts zu erwidern. Er streckte ihr das Horn entgegen, und sie nahm es aus seiner Hand. Ihre Finger berührten seine Handfläche, und nun zitterte er vor Ehrfurcht und in Erinnerung.
    Sie lachte tief in ihrer Kehle.
    Dave konnte fühlen, wie er errötete. Aber selbst auf die Gefahr hin, dass sie auflachte, musste er noch etwas fragen. Er wartete einen Augenblick und sagte dann: »Würde es dir ebenso leid tun, wenn ich bleibe? Ich versuche jetzt schon lange, mich zu entscheiden. Ich glaube, dass ich bereit bin, nach Hause zurückzukehren, aber ein anderer Teil in mir ist ganz verzweifelt, wenn ich daran denke, von hier zu scheiden.« Er wählte seine Worte so sorgfältig, wie er nur konnte, und mit mehr Würde, als er selbst zu besitzen glaubte. Sie lachte nicht. Die Göttin blickte auf ihn. In ihren Augen stand Befremdung, halb kalt, halb mitfühlend.
    Sie schüttelte den Kopf. »Dave Martyniuk«, ging sie auf ihn ein, »seit jener Nacht im Faellinhain bist du klüger geworden. Ich hatte gedacht, du wüsstest die Antwort auf diese Frage, ohne dass ich sie dir sage. Du kannst nicht bleiben, und du hättest wissen sollen, dass du es nicht kannst.«
    Irgend etwas in Daves Bewusstsein wurde aufgerüttelt, ein Bild, eine weitere Erinnerung. Unmittelbar bevor sie wieder zu sprechen begann, in jener halben Sekunde, bevor sie ihm den Grund klar machte, verstand er es.
    »Was habe ich zu dir in jener Nacht am Teich gesagt?« fragte sie mit einer Stimme, die so kühl und weich war wie gewobene Seide.
    Er wusste es. Die

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