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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens
Autoren: Guy Gavriel Kay
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ganze Zeit war es irgendwo in seinem Geist verborgen gewesen.
    Kein Mensch von Fionavar darf Ceinwen jagen sehen.
    Das waren ihre Worte gewesen. Aber er hatte sie jagen gesehen. Er hatte gesehen, wie sie am mondbeschienenen Teich einen Hirsch tötete, und er hatte gesehen, wie sich der Hirsch aus seinem Tod erhob, sein Haupt vor der Jägerin beugte und zwischen den Bäumen verschwand.
    Kein Mensch in Fionavar … Jetzt wusste Dave die Antwort auf sein Problem: Es hatte immer nur die eine Antwort gegeben.
    Er musste nach Hause zurück. Die Göttin wollte es so. Nur indem er Fionavar verließ, konnte er sein Leben retten, nur wenn er Abschied nahm, musste sie ihn nicht für das, was er gesehen hatte, töten.
    Er fühlte in seinem Herzen ein plötzliches heftiges Aufwallen von Gram. In ihm blieb eine Traurigkeit zurück, die er immer tragen würde, aber ebenso auch eine tiefe Sicherheit, dass es so sein musste, weil es eben nur so sein konnte.
    Wäre er nicht von einer anderen Welt, hätte Ceinwen ihn nicht am Leben gelassen, hätte ihm niemals das Horn geben können. Dave erkannte in einem Blitzen der Erleuchtung, dass auch die Göttin auf ihre Art durch ihr Wesen gefangen war und durch ihre eigenen Entschlüsse.
    Er würde also gehen. Er brauchte nichts mehr zu entscheiden. Die Entscheidung war schon seit langem gefallen, und diese Wahrheit hatte er all die Zeit mit sich herumgetragen. Er holte noch einmal tief und langsam Atem. Im Wald war es sehr still. Es sangen keine Vögel mehr.
    Dann erinnerte er sich noch an etwas anderes, und er sprach es aus. »Ich habe dir in jener ersten Nacht, jenes erste Mal geschworen, dass ich jeden Preis zahlen würde, der nötig ist. Wenn du bereit bist, es so zu sehen, dann ist mein Abschied vielleicht dieser Preis.«
    Wieder lächelte sie, und diesmal war es ein freundliches Lächeln.
    »Ich will es so sehen«, versicherte die Göttin. »Es ist kein weiterer Preis von dir gefordert. Denk an mich.«
    Ihr Antlitz strahlte. Er öffnete seinen Mund, bemerkte aber, dass er nicht sprechen konnte. Durch ihre und seine eigenen Worte war es ihm bewusst geworden: Er würde von Fionavar scheiden. Er würde alles hinter sich lassen. Es musste sein. Er würde nur die Erinnerung mit sich nehmen können und in all seinen zukünftigen Tagen mit ihr leben.
    Zum letzten Mal kniete er vor Ceinwen vom Bogen nieder. Sie stand reglos wie eine Statue und blickte auf ihn herab. Er erhob sich und wandte sich um, wollte aus den Schatten und dem gefleckten Licht zwischen den Bäumen weggehen.
    »Halt!« rief die Göttin.
    Er drehte sich wieder um und wusste nicht, was sie jetzt noch von ihm fordern würde. Lange Zeit ließ sie ihre Augen schweigend auf ihm ruhen, bevor sie sprach.
    »Sag mir, Dave Martyniuk, Tabor von der Axt, wenn es dir erlaubt wäre, einem Kind der Andain, einem Sohn in Fionavar den Namen zu geben, wie würdest du deinen Sohn nennen?«
    Sie strahlte so sehr. Und jetzt waren Tränen in seinen Augen, die ihr Bild vor ihm schimmern und verschwimmen ließen, und irgend etwas leuchtete in seinem Herzen wie der Mond.
    Er erinnerte sich: Eine Nacht auf einem Hügel bei Celidon im Süden des Adeinflußes. Unter den Sternen des wiedergekehrten Frühlings hatte er mit einer Göttin auf dem frischen grünen Gras gelegen.
    Er verstand. Und bevor er jetzt zu sprechen begann und dem Strahlen Stimme verlieh, blühte irgend etwas in seinem Bewusstsein auf, es leuchtete wilder und heftiger als der Mond in seinem Herzen oder selbst der Glanz auf Ceinwens Gesicht. Er verstand, und hier am Rande des Waldes von Pendaran kam Dave endlich mit sich ins reine, mit dem, was er einst in all seiner Bitterkeit gewesen und was er jetzt geworden war. »Göttin«, antwortete er und kämpfte gegen die Enge in seiner Kehle an, »wenn so ein Kind geboren würde und ich ihm den Namen verleihen müsste, so würde ich ihn Kevin nennen … nach meinem Freund.«
    Zum letzten Mal lächelte sie ihm zu.
    »So soll es sein«, sagte Ceinwen.
    Blendendes Licht strahlte auf, und dann war er allein. Er wandte sich um, ging zu seinem Pferd und stieg auf, um zurückzureiten … zurück nach Paras Derval und dann weit, weit darüber hinaus nach Hause.
     
    Paul verbrachte die Tage und Nächte dieser letzten Woche damit, Abschied zu nehmen. Im Gegensatz zu Dave oder selbst zu Kim schien er keine wirklich tiefen Bindungen hier in Fionavar eingegangen zu sein. Zum Teil entsprang das seinem eigenen Wesen, dem, was ihn vor allem dazu getrieben
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