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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens
Autoren: Guy Gavriel Kay
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Welt keinem wirklichen Zweck dienen konnte, höchstens der Erinnerung … und das war auf eine Art ein durchaus akzeptabler Zweck. Sie war alleine im Wald und kämpfte schmerzhaft um inneren Frieden. Sie hielt an und stand eine Zeitlang schweigend, lauschte den Vögeln über ihr und dem Seufzen des leichten Windes in den Blättern. Es war so ruhig, so schön hier. Sie hätte diese Stille und Erhabenheit am liebsten immer bei sich behalten.
    Während sie noch so dachte, sah sie einen leuchtenden Farbflecken auf dem Boden zu ihrer Rechten und erkannte, dass ihr zum Schluss noch ein letztes Geschenk gegeben wurde. Sie ging hinüber und folgte den Schritten, die Finn und Daren in der Tiefe des Winters hier zusammen gegangen waren. Und wie sie kniete sie dann neben dem Bannion nieder, das hier wichs.
    Es war eine blaugrüne Blüte, in deren Zentrum ein roter Fleck wie ein Blutstropfen stand. An jenem Tag hatten sie sie stehen gelassen, hatten andere Blumen gepflückt, um sie zu Vae zurückzutragen. Und so war es für Kim hier stehen geblieben, Tränen quollen aus ihr hervor, als sie sich erinnerte: ihr erster Spaziergang in diesem Wald mit Ysanne, als sie zusammen nach dieser Blume suchten. Dann eine Nacht am See unter den Sternen, als Eilathen, vom Blumenfeuer gerufen, das Gewebe für se gesponnen hatte.
    Das Bannion war wunderschön, um das strahlende Rot hatte es die Farbe des Meeres. Sie pflückte es sorgfältig und steckte es in ihr weißes Haar. Sie dachte an Eilathen, an das blaugrüne Glitzern seiner nackten Macht. Auch er war für sie verloren, selbst wenn sie ihn hätte rufen wollen, um sich von ihr zu verabschieden. Sei befreit vom Blumenfeuer, jetzt und immerzu, hatte Ysanne ihm am Schluss zugerufen und ihn von der Aufgab, den roten Kriegsstein zu bewachen, entbunden.
    Das Bannion war wunderschön, aber ohne lacht. Es schien ein Symbol dessen zu sein, was von ihr gegangen war, was sie jetzt nicht länger tun konnte. In jener Sternennaht am See war ihr Magie verliehen worden, sie war eine Zeit bei ihr geblieben und dann verschwunden. In jedem Falle, überlegte sie, würde es für sie besser sein, wenn sie in ihre eigene Welt zurückkehrte … so würde sie sich wenigstens der Schärfe dieser Bilder entziehen können.
    Sie erhob sich und machte sich auf den Rückweg und dachte dabei an Loren, der sich mit demselben Verlust auseinandersetzen musste. Plötzlich erkannte sie, dass es Matt all die Jahre, die er in Paras Derval verbracht und gegen die Anziehungskraft des Calor Diman gekämpft hatte, ebenso ergangen war. Die beiden hatten zusammen den vollen Kreis zurückgelegt, dachte sie. Es lag darin ein schöneres und schrecklicheres Muster, als irgendein sterbliches Gewebe es jemals hätte aufweisen können.
    Sie ließ die Bäume hinter sich und ging am See hinab. Die Luft bewegte sich im Sommerwind. Sie spürte einen Anflug von Kühle, es war der Vorbote des herannahenden Herbstes. Kim trat auf die glatte Oberfläche des Felsens, der über das Wasser hinausragte, wie sie es damals mit Ysanne getan hatte, als die Seherin den Wassergeist unter den Sternen beschwor.
    Sie wusste, dass sich Eilathen dort unten aufhielt, in seinen Doppelkorridoren aus Stein und Algen, in dem tiefen Schweigen seines Heims. Er war unerreichbar und für sie verloren. Sie saß auf dem Stein, schlang ihre Arme um die Knie und versuchte, die Freuden aufzuzählen, um Trauer in Freude zu verwandeln.
    Lange verweilte sie so und blickte über die Wasser des Sees. Es war wohl schon spät am Nachmittag, überlegte sie. Sie sollte sich auf den Rückweg machen. Aber es war so schwierig wegzugehen. Aufzustehen und diesen Platz zu verlassen, würde ein ebenso einsamer und endgültiger Akt sein wie alle, die sie bisher vollführt hatte. So zögerte sie, und bald darauf hörte sie Schritte hinter sich, und dann kauerte jemand an ihrer Seite nieder.
    »Ich habe dein Pferd beim Cottage gesehen«, sprach Dave sie an. »Störe ich?«
    Sie lächelte zu ihm auf und schüttelte den Kopf. »Ich bin nur gerade dabei, mich vor dem heutigen Abend zu verabschieden.«
    »Ich habe es auch getan«, sagte er und sammelte und verstreute Kieselsteine.
    »Du kommst auch nach Hause?«
    »Ich habe es gerade beschlossen«, erklärte er ruhig. In seiner Stimme lag eine Ruhe und Sicherheit, die sie vorher bei ihm nie gehört hatte. Sie stellte fest, dass Dave sich von allen hier am meisten verändert hatte. Sie, Paul und Jennifer waren nur auf dem Weg weitergegangen, auf dem
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