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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens
Autoren: Guy Gavriel Kay
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jetzt gehen«, ergriff er nochmals das Wort und hoffte, irgendwo anders zu sein, bevor einer von ihnen etwas äußerte, was den anderen verletzte und auf diese Weise sogar den Abschied verdarb. »Ich denke, dass ich dich heute Abend sehen werde.« Er wandte sich zur Tür.
    »Paul«, bat sie. »Warte.«
    Nicht Pwyll, sondern Paul. Irgend etwas begann sich wie ein Wind in ihm zu bewegen. Er drehte sich wieder um.
    Sie hatte sich nicht bewegt. Ihre Hände waren vor der Brust verschränkt, als sei es ihr mitten im Sommer plötzlich kalt. »Willst du mich wirklich verlassen?« fragte Jaelle mit einer so angespannten Stimme, dass er einen Augenblick brauchte, um sich sicher zu sein, was er gehört hatte.
    Und dann war er sich sicher, und in diesem Augenblick wankte und taumelte die Welt in ihm und außer ihm, und irgend etwas veränderte sich. Irgend etwas zerbrach in seiner Brust, es war, als bräche ein Damm, der so lange Zeit das Bedürfnis zurückgehalten hatte, der bis zu diesem Augenblick die Wahrheit seines Herzens geleugnet hatte.
    »O meine Liebe«, sagte er.
    Der Raum schien mit einem Male so hell zu werden. Er machte einen Schritt nach vorne und dann noch einen … und dann hielt er sie in seinen Armen, und die Flamme ihres Haares umfloss sie beide. Er senkte seinen Kopf und fand den ihren, und sie küssten sich. Und in diesem Augenblick überkam ihn schließlich die ganze Klarheit. Alles floss und pulsierte in ihm wie sein schneller Pulsschlag, der Hammer seines Herzens. Er war durchsichtig, nicht mehr Herr des Sommerbaums, sondern nur noch ein Sterblicher, der lange abgelehnt worden war und sich selbst lange verweigert hatte, und der nun berührte und durch Liebe berührt wurde.
    Sie war Feuer und Wasser für seine Hände, sie war alles, was er jemals ersehnt hatte. Ihre Finger waren hinter seinem Kopf, glitten durch sein Haar, zogen ihn zu ihren Lippen herab, und immer und immer wieder flüsterte sie weinend seinen Namen.
    Und so kamen schließlich die Kinder der Göttin und des Gottes zusammen.
    Sie ließen sich auf den verstreuten Kissen nieder, sie legte ihren Kopf auf seine Brust, und lange Zeit schwiegen sie, während seine Finger unablässig durch ihr rotes Haar strichen und ihre Tränen abwischten.
    Schließlich legte sie sich so, dass ihr Kopf in seinem Schoß ruhte und sie zu ihm aufblickte. Sie lächelte, und dieses Lächeln unterschied sich von jedem anderen, das er zuvor gesehen hatte.
    »Du wärst wirklich weggegangen«, sagte sie, es war keine Frage.
    Er nickte betäubt, halb zitternd, angesichts dessen, was ihm geschehen war. »Ja, ich wäre weggegangen«, bekannte er. »Ich hatte zuviel Angst.«
    Sie griff nach oben und berührte seine Wange. »Nach allem, was du getan hast, hattest du davor Angst?«
    Wieder nickte er. »Davor vielleicht mehr, als vor allem anderen. Wann?« fragte er. »Wann hast du …?«
    Ihre Augen wurden ernst. »Ich habe mich damals auf dem Strand in Taerlindel in dich verliebt. Damals, als du in den Wogen standest und mit Liarnan sprachst. Aber ich habe es natürlich aus vielen Gründen unterdrückt. Du wirst sie kennen. Erst als du von Finn weggingst, um Galadan entgegenzutreten, habe ich es wieder in mir gefunden.«
    Er schloss die Augen und öffnete sie wieder. Er fühlte, dass ein Kummer die Freude überschattete. »Darfst du das tun?« fragte er. »Wie kann es erlaubt sein? Du bist, was du bist.«
    Wieder lächelte sie, und dieses Lächeln kannte er. Er hatte sich es auf Danas Gesicht vorgestellt: Es war ein nach innen gerichtetes, unerforschliches Lächeln.
    Sie versicherte: »Ich würde sterben, nur um dich zu bekommen, aber ich glaube nicht, dass es so geschehen muss.«
    Übergangslos sprang sie auf. Auch er erhob sich und sah, dass sie zur Tür ging und sie öffnete. Sie murmelte der Akolytin im Korridor etwas zu und wandte sich dann wieder zu ihm zurück; ein Licht tanzte in ihren Augen.
    Sie mussten nicht lange warten. Die Tür öffnete sich wieder, und Leila kam herein.
    Sie war in Weiß gekleidet.
    Sie blickte von einem zum anderen und lachte dann laut. »Oh, gut!« sagte sie. »Ich habe mir schon gedacht, dass es so kommen würde.«
    Paul bemerkte, dass er errötete. Dann fing er Jaelles Blick auf, und beide brachen sie in Lachen aus.
    »Kannst du sehen, warum sie jetzt die Hohepriesterin sein wird?« fragte Jaelle lächelnd. Dann fügte sie wieder nüchtern hinzu. »Von dem Augenblick an, da sie die Axt hob und überlebte, war Leila von der Göttin für
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