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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens
Autoren: Guy Gavriel Kay
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Verlängerung seiner selbst. Er nahm die Hand wieder weg, drehte sich um und verließ die Lichtung. Über sich hörte er die Raben fliegen. Er wusste, dass sie zurückkehren würden.
     
    Und danach erst kam der letzte Abschied. Er hatte ihn hinausgeschoben, teilweise weil er selbst nicht erwartete, dass er ihm leicht fallen würde. Auf der anderen Seite hatten sie beide trotz all ihrer Sprödigkeit vieles gemeinsam gehabt, seit sie ihn vom Baum genommen hatte und mit ihren Fingernägeln im Tempel Blut aus seinem Gesicht hatte perlen lassen.
    So kehrte er also zu seinem Pferd zurück und ritt nach Paras Derval, und dann durch die überfüllte Stadt nach Osten zum Heiligtum, um Jaelle Lebewohl zu sagen.
    Vor dem Eingangsbogen zog er am Klingelgriff. Im Tempel erklang eine Glocke. Einen Augenblick später öffneten sich die Tore, und eine graugekleidete Priesterin schaute heraus und zwinkerte vor dem hellen Licht. Dann erkannte sie ihn und lächelte.
    Das war einer der neuen Vorgänge in Brennin, auf seine Weise ein ebenso starkes Symbol der wiedergewonnenen Harmonie, wie es auch die gemeinsame Aktion von Jaelle und Teyrnon sein würde, die sie heute Abend nach Hause schicken würden.
    »Hallo, Shiel«, begrüßte er sie. Er erinnerte sich noch an sie, als er nach Dariens Geburt gekommen war, um Hilfe zu suchen. Damals hatte sie ihm den Weg versperrt und Blut von ihm gefordert.
    Jetzt nicht. Shiel errötete, weil er sie erkannt hatte. Sie winkte ihm einzutreten. »Ich weiß, dass du Blut gegeben hast«, bemerkte sie fast entschuldigend.
    »Ich kann es wieder tun, wenn du willst«, entgegnete er sanft.
    Sie schüttelte heftig den Kopf und schickte eine Akolytin aus, die die gewundenen Gänge entlang eilte, um nach der Hohenpriesterin zu suchen. Paul wartete geduldig und sah an Shiel vorbei, die zu seiner Linken stand. Er konnte die Gewölbekuppel und den Altarstein mit der Axt erkennen, die auch so placiert waren, dass sie für jeden sichtbar waren.
    Die Akolytin kam zurück und mit ihr Jaelle. Er hatte gedacht, dass sie ihn würde warten lassen oder nach ihm schicken würde, aber sie tat so selten, was er vermutete.
    »Pwyll«, sagte sie. »Ich habe mich gefragt, ob du kommen würdest.« Ihre Stimme war kühl. »Möchtest du ein Glas Wein trinken?«
    Er nickte und folgte ihr den Gang entlang in einen Raum, an den er sich erinnern konnte. Sie entließ die Akolytin und schloss das Tor. Sie ging zu einem Büffet und goss Wein für sie beide ein, ihre Bewegungen waren flink und unpersönlich.
    Sie reichte ihm ein Glas und sank auf einem Haufen von Kissen auf dem Boden nieder. Er nahm den Stuhl, der neben der Tür stand. Er schaute sie an, ein Bild aus Purpurrot und Weiß. Danas Feuer und das Weiße des Vollmondes. Ein silbernes Diadem hielt ihr Haar zurück, er erinnerte sich, dass er es auf der Ebene von Andarien aufgelesen hatte. Er entsann sich, wie sie zu der Stelle gerannt war, wo Finn lag.
    »Also heute Abend?« fragte sie und nippte an ihrem Wein.
    »Wenn du willst«, antwortete er. »Gibt es eine Schwierigkeit? Denn wenn …«
    »Nein, nein«, unterbrach sie schnell. »Ich habe nur gefragt. Wir werden es bei Mondaufgang tun.«
    Ein kurzes Schweigen folgte, das dann durch Pauls Lachen beendet wurde. »Wir sind wirklich schrecklich, nicht?« meinte er und schüttelte bedauernd den Kopf. »Wir haben es nie geschafft, eine normale Konversation zu führen.«
    Sie dachte darüber nach, ohne zu lächeln, obwohl sein Ton dazu eingeladen hatte. »In jener Nacht bei dem Anor«, begann sie. »… bis ich das Falsche gesagt habe.«
    »Es war nicht falsch«, murmelte er. »Ich war eben nur empfindlich, was Macht und Kontrolle anbelangte. Du hast einen Nerv getroffen.«
    »Wir sind darin geübt.« Sie lächelte, aber es war kein kaltes Lächeln, und er bemerkte, dass sie ein wenig über sich selbst spottete.
    »Aber ich habe es genügend herausgefordert«, gab Paul zu. »Einer der Gründe, warum ich kam, liegt darin, dass ich dir sagen wollte, dass es hauptsächlich nur eine blinde Reaktion war. Es war meine eigene Abwehr. Ich wollte mich von dir verabschieden und dir versichern, dass ich … dass ich viel Respekt vor dir empfinde.« Es fiel ihm schwer, die richtigen Worte zu wählen.
    Sie entgegnete nichts, bückte auf ihn hinab, und ihre grünen Augen waren klar und strahlend. Gut, dachte er, er hatte es gesagt, was er ihr hatte sagen wollen. Er trank seinen Wein aus und stand auf. Sie folgte seinem Beispiel.
    »Ich sollte
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