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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens
Autoren: Guy Gavriel Kay
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Kim heraus, dass da etwas anderes mitschwang, irgend etwas zwischen Wahnsinn und Schmerz.
    Ceriog spottete: »Das hätte dir aber wirklich Geschmack auf mehr geben sollen!« Er riss seine Arme auseinander. »Jedenfalls sollten wir alle inzwischen Geschmack auf den Tod bekommen haben! Ich war zurückgekommen, um euch zu sagen, dass da unten Frauen und Kinder sind, an denen ihr euer Vergnügen haben könnt. Ich hätte allerdings nicht gedacht, dass ich so schnell einen Zwerg in meiner Gewalt haben würde.«
    Er lachte nicht mehr. Statt dessen drehte er sich um und blickte auf den Körper von Brock hinab, der bewusstlos auf dem sonnengebackenen Stein des Plateaus lag.
    Eine wehe Vorahnung schwappte über Kimberly hinweg. Es war eine Erinnerung, aber nicht ihre eigene. Es war eine Erinnerung aus Ysannes Bewusstsein, deren Seele in diesem Augenblick Teil der ihrigen war. Eine Erinnerung an eine Sage, an eine Geschichte wie ein Alptraum aus der Kindheit, eine Geschichte von schlimmen Übeltaten, die vor sehr langer Zeit verübt worden waren.
    »Was ist geschehen?« schrie sie. Sie zuckte vor Schmerz, voll verzweifelter Begierde, es zu erfahren. »Was haben sie getan?«
    Ceriog blickte auf sie. Alle blickten auf sie. Zum ersten Mal begegnete sie seinen Augen und wich zurück vor dem offenen Leiden, das sie darin las. Sein Kopf schnellte wie in Krämpfen auf und nieder.
    »Faebur!« rief er plötzlich laut. Ein jüngerer Mann aus Eridu mit hellerem Bart trat nach vorne. »Spiel noch einmal den Boten, Faebur. Erzähle die Geschichte noch einmal. Wir wollen sehen, ob sie mit der Zeit besser wird. Sie möchte wissen, was die Zwerge getan haben. Sag es ihr!«
    Sie war eine Seherin. Die Fäden des Zeitwebstuhls flogen für sie hin und her. Noch als Faebur mit flacher Stimme seine Erzählung begann, drang Kim unmittelbar hinter seine Worte zurück zu den Bildern, die dahinter standen, und sie fand Schrecken.
    Sie kannte ja den Hintergrund der Geschichte, was sie jedoch nicht weniger bitter machte: die Geschichte von Kaen und Blod, den beiden Brüdern, die vor vierzig Jahren die Zwerge auf die Suche nach dem verlorenen Kessel von Kath Meigol geführt hatten. Als die Ratsversammlung der Zwerge dafür votiert hatte, ihnen zu helfen, hatte Matt Sören, der junge König, sein Zepter weggeworfen, er hatte die Diamantkrone abgesetzt und die Zwillingsberge verlassen, um als Quelle für Loren Silbermantel ein ganz anderes Schicksal zu erfahren.
    Dann war vor einem Jahr der Zwerg, der nun neben ihr lag, mit Nachrichten über schlimme Übeltaten nach Paras Derval gekommen: Kaen und Blod war es nicht gelungen, den Kessel zu finden, und vierzig Jahre erfolgloser Suche hatten sie an den Rand des Wahnsinns gebracht. Deshalb hatten sie eine unheilige Allianz geschlossen. Mit Hilfe des betrügerischen Magiers Metran hatten sie schließlich den Kessel der Riesen ausgegraben … und den Preis dafür bezahlt. Ein doppelter Preis: Die Zwerge hatten den Wachtstein von Eridu zerbrochen und auf diese Weise die Warnkette der fünf Steine zerrissen, und dann hatten sie den Kessel selbst in die Hand ihres neuen Meisters gegeben, desjenigen, der durch die Verbindung der fünf Wachtsteine fest und sicher unter dem Berg Rangat gebannt sein sollte … es war Rakoth Maugrim, der Entwirker. Dies alles hatte sie schon gewusst, auch dass Metran den Kessel dazu verwendet hatte, um den mörderischen Winter einzuschließen, der vor fünf Tagen geendet hatte, an dem Morgen nach jener Nacht, als Kevin Laine sich geopfert hatte, um ihn zu beenden. Aber was seither geschehen war, hatte sie nicht gewusst. Sie las es nun in Faeburs Gesicht, sie vernahm seine Worte und fühlte die Bilder wie Peitschenhiebe in ihrer Seele.
    Der Todesregen von Eridu.
    »Als der Schnee zu schmelzen begann«, berichtete Faebur, »freuten wir uns. Ich hörte, wie in dem befestigten Larak die Glocken läuteten, auch wenn ich nicht dorthin zurückkehren konnte. Mein Vater hatte mich hierher in die Berge vertrieben, trotzdem war auch ich für das Ende der mörderischen Kälte dankbar.« Kim erinnerte sich, dass auch sie gedankt hatte, noch während sie trauerte … vor der dunklen Höhle von Dun Maura hatte sie die Totenklagen der Priesterinnen gehört.
    Oh, mein geliebter Mann!
    »Drei Tage lang«, fuhr Faebur in seinem gefühllosen, dumpfen Tonfall fort, »schien die Sonne. Das Gras und die Blumen kehrten über Nacht zurück. Als am vierten Tag der Regen kam, schien auch dies natürlich zu sein.
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