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Rywig 08 - Sonjas dritte Sternstunde

Titel: Rywig 08 - Sonjas dritte Sternstunde
Autoren: Berte Bratt
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Aufbruch
    Vor mir auf dem Tisch, der seit drei Jahren unser Arbeits-, Bügel-, Schreib- und gelegentlich auch Eßtisch gewesen war, stand mein schon halb gefüllter Koffer. In meiner schmalen Koje, seit drei Jahren mein Nachtlager, lagen die Kleidungsstücke, die ich in all dieser Zeit kaum getragen hatte: ein warmer Pulli, eine Strickjacke, der alte Popelinemantel, Strumpfhosen, Unterwäsche. Den Mantel sah ich beinahe sentimental an. Den hatte ich bei meiner ersten Afrika-Reise vor vier Jahren angehabt. Ja, wenn ich damals gewußt hätte.
    Wenn ich geahnt hätte, daß Afrika meine zweite Heimat werden sollte! Daß ich mit meinem geliebten Mann in einem entlegenen Teil von Kenya wissenschaftlich arbeiten würde. nun ja, die Wissenschaft war ja eigentlich Heikos Sache, aber ich durfte ihm assistieren. Ich habe gute Augen, und manchmal entdeckte ich in der Abenddämmerung das Kleingetier, bevor Heikos kurzsichtige Augen es erfaßten. Wie oft hatten wir stundenlang dagesessen, in unserer „Tarnhütte“, und nur beobachtet - und ganz leise ins Mikrofon gesprochen, all unsere Entdeckungen und Beobachtungen. Dann war es meine Arbeit, am folgenden Tag das Gesprochene zu Papier zu bringen.
    Wenn es nicht meine Haushaltswoche war. Wir machten den Haushalt der Reihe nach, Peggy, Kerstin und ich. Wenn Peggy kochte, gab es englische Puddings, die eigentlich nur sie selbst und ihr Mann, unser Biologe George, mochten, und wenn Kerstin - die Schwedin - sich in der Küche betätigte, wußten wir mit Sicherheit, daß es donnerstags Erbsensuppe mit Speck gab und als Nachtisch „Plättor med Sylt“ - kleine Eierkuchen mit Marmelade. Unser Botaniker Lennart war in dem Punkt hundertprozentig Patriot. „Ein Schwede, der donnerstags keine Erbsensuppe ißt, ist kein richtiger Schwede“, behauptete Lennart. Und so löffelten wir unsere Erbsen bei vierzig Grad Hitze, ohne zu protestieren. Dafür protestierten die anderen auch nicht, wenn ich deutsche Kartoffelpuffer oder norwegische Fischklöße aus der Dose auf den Tisch brachte.
    Drei Jahre hatten wir hier zusammen verbracht, wir sechs jungen Menschen. Drei Männer, die von der Mary-Green-Stiftung in England dazu ausgewählt waren, das Leben der Kleinnager und Schleichkatzen in dieser Gegend zu erforschen. Drei junge Frauen, die willig und bereit gewesen waren, auf Elektroherd und Waschmaschine, Friseur und schicke Kleidung, Fernsehen und Staubsauger zu verzichten, um ihren Männern zu folgen und mit ihnen zu arbeiten.
    Zugegeben, anfangs hatte es manchmal Schwierigkeiten gegeben. In vielen Punkten waren wir verschieden. Aber allmählich hatten wir „Ecken und Kanten“ gegeneinander abgerieben und abgeschliffen, wie Lennart sagte. Und zuletzt war eine dicke Freundschaft herangewachsen. Wir hatten ja alle sechs dieses große, schöne, gemeinsame, Interesse: die Liebe zu den Tieren und der Natur, den brennenden Wunsch, beides für die kommenden Generationen zu erhalten.
    Ich legte einen Stoß Unterwäsche in den Koffer. Es war Herbst, und in Europa war es kühl. Unglaublich - in drei Tagen würden wir in Europa sein! Zwischenlandung in Zürich und gleich weiter nach England, zu unserer Brötchengeberin, Lady Robinson.
    Eigentlich hätten wir erst einen Monat später fahren sollen. Es stand uns ein zweimonatiger Urlaub zu. Aber nun hatte Lady Robinson uns - Heiko und mich - gebeten, einen Monat eher zu kommen, Heiko möge einen Monat im Institut mit ihr zusammenarbeiten, nachher würden wir dann unseren Urlaub ungekürzt nehmen können.
    Was hatte sie wohl mit Heiko vor?
    Gedankenvoll legte ich einen warmen Schlafanzug in den Koffer.
    „Na, Sonja? Wie geht’s? Hast du Reisefieber?“
    Es war Peggy, die aus der Küche kam, mit roten Backen und einem Mehlklecks auf der Nase.
    „Reisefieber? Ach nein, das kann ich nicht behaupten. Aber ich bin furchtbar neugierig. Was in aller Welt soll Heiko in England?“ „Bald werdet ihr es ja erfahren. Jedenfalls kommt ihr in drei Monaten zu uns zurück.“
    „Ja, Gott sei Dank. Ich werde eine fürchterliche Sehnsucht haben.“
    Peggy setzte sich auf die Bettkante, neben meinen alten Mantel. „Das kann ich verstehen. Ich werde mich auch immer zurücksehnen. Aber wir haben jedenfalls noch ein Jahr vor uns.“
    „Ja, ist das nicht ein Glück? Dies ist ein merkwürdiges Land, Peggy. Schon bei meiner ersten Reise - einer kurzen Gruppenreise von vierzehn Tagen, du weißt, wir hatten sie in der Fernsehlotterie gewonnen - , schon bei diesem Besuch
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