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Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)

Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)

Titel: Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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Prolog
    Brynjar zog in der abendlichen Kälte seine Jacke fester zu. Er freute sich darauf, wieder ins Wächterhäuschen zu kommen, und überlegte, warum er eigentlich rausgegangen war. Vielleicht zeigte das ja nur, wie langweilig sein Job war – er nutzte jede Gelegenheit zur Abwechslung, selbst wenn er sich dem beißenden Wind aussetzte. Der Hafen, den er bewachen sollte, war wie ausgestorben, wie meistens spät abends und nachts, und plötzlich fiel ihm auf, dass er ihn gar nicht anders kannte. Er mied den Ort tagsüber, wenn er voller Leben war, und wollte ihn genau so haben: die schwarze Wasseroberfläche, die verlassenen Schiffe. Am liebsten wollte er gar nicht sehen, wie der Hafen in seiner Abwesenheit zum Leben erwachte, um nicht feststellen zu müssen, wie unwichtig er letztendlich war.
    Brynjar beobachtete ein altes Ehepaar, das mit einem kleinen Mädchen an der Hand an der Hafenmole entlangspazierte. Kurz hinter ihnen humpelte ein junger Mann auf Krücken, der ihm ebenfalls merkwürdig vorkam. Er schaute auf die Uhr. Kurz vor Mitternacht. Obwohl er keine Kinder hatte, wusste er, dass das für ein höchstens zweijähriges Kind eine ungewöhnliche Zeit war, um draußen zu sein. Vielleicht hatten diese Leute dieselbe Absicht wie er: Sie trotzten der Kälte, um die berühmt-berüchtigte Yacht zu sehen, die jeden Moment erwartet wurde. Je länger er darüber nachdachte, desto sicherer war er sich, dass die Leute die Besatzung in Empfang nehmen wollten. Brynjar ging lieber nicht zu ihnen, falls er mit seiner Vermutung richtig lag. Sie hatten nämlich einen Anlass, während er von purer Neugier getrieben wurde. Natürlich konnte er ihnen vorflunkern, er hätte etwas zu erledigen, aber er war ein schlechter Lügner und fürchtete, sich dabei nur noch tiefer zu verstricken.
    Um nicht tatenlos herumzustehen, ging er zu dem kleinen Lieferwagen mit dem Logo vom Zoll. Das Fahrzeug war vor einer halben Stunde aufs Hafengelände gefahren und parkte an einer Stelle, von der man den Hafen gut überblicken konnte. Vielleicht würden ihn die Zöllner in den Wagen lassen, dann müsste er nicht mehr frieren. Er klopfte auf der Fahrerseite an die Scheibe und wunderte sich, dass drei Zöllner in dem Auto saßen. Normalerweise kam nur einer, höchstens zwei. Die Scheibe glitt quietschend nach unten, wahrscheinlich war Sand im Fensterschlitz.
    »Guten Abend«, sagte Brynjar.
    »N’ Abend.« Der Mann am Steuer übernahm das Reden. Die anderen beobachteten aufmerksam den Hafen.
    »Sind Sie wegen der Motoryacht hier?«, fragte Brynjar. Er bereute es bereits, zu ihnen gegangen zu sein, und seine Hoffnung, eingelassen zu werden, schwand.
    »Ja.« Der Fahrer wandte seinen Blick von Brynjar ab und glotzte ebenfalls auf den Hafen. »Wir sind nicht wegen der Aussicht hier.«
    »Warum sind Sie denn zu dritt?« Brynjars Worte wurden von kleinen Atemwölkchen begleitet, aber die Männer schenkten ihnen keine Beachtung.
    »Da stimmt was nicht. Hoffentlich nichts Schlimmes, aber es war Anlass genug, uns loszuschicken.« Der Fahrer zog den Reißverschluss seines Anoraks hoch. »Sie haben nicht auf den Funkruf reagiert, vielleicht ist ihre Anlage kaputt, aber man kann ja nie wissen.«
    Brynjar zeigte auf die Leute, die an der Hafenmole standen und warteten. Der ältere Herr hatte das Kind auf den Arm genommen, und der Typ mit den Krücken hatte sich auf einen Poller gesetzt.
    »Ich glaube, die wollen die Mannschaft begrüßen. Soll ich mal rübergehen und nachfragen?«, sagte er.
    »Wenn Sie wollen.« Dem Mann war offensichtlich egal, was Brynjar machte, solange er nicht weiter bei ihnen herumstand. »Die sind bestimmt nicht hier, um Schmuggelware in Empfang zu nehmen. Wir haben sie kommen sehen, die würde man doch sogar im Rollstuhl einholen. Das sind irgendwelche Verwandte der Besatzung oder so.«
    Brynjar nahm seinen Arm aus der Fensteröffnung und richtete sich auf.
    »Ich gehe mal rüber. Kann ja nicht schaden.«
    Zum Abschied hörte er nur das Quietschen der Fensterscheibe, die wieder hochfuhr. Brynjar stellte seinen Kragen auf. Die Leute da hinten waren bestimmt freundlicher als die Zöllner, auch wenn sie ihn nicht in ein warmes Auto einladen konnten. Eine einzelne Möwe machte mit einem Kreischen auf sich aufmerksam und erhob sich von einer erloschenen Laterne zum Flug. Brynjar beschleunigte seine Schritte, während er der Möwe nachsah, die auf die schwarze Konzerthalle Harpa zuflog und dann verschwand.
    »Hallo«, sagte er. Die
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