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Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Susann Rosemann
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Kapitel 1
     
    Ulm, 1485 Frühling
     
    Das Stimmengewirr schwoll an, während
Jolanthe aus einer Seitengasse auf den Marktplatz trat. Ein paar vereinzelte Töne
einer Laute erklangen. Als sie sich umsah, war Katrein, ihre Magd, mehrere Schritte
hinter ihr zurück geblieben und schaute einem Mann in bunten Beinlingen zu, wie
er vor einer Gruppe Aufstellung nahm, um ein Lied darzubieten.
    »Trödle
nicht!«, rief Jolanthe, was die Magd zusammenschrecken ließ. Natürlich gab es vieles
zu entdecken an einem Markttag in Ulm, sie selbst liebte dieses Gewimmel und Gewirr,
die vielen unterschiedlichen Gerüche. Man brauchte nur stehen zu bleiben, die Augen
zu schließen und sich darauf zu konzentrieren, um zu erfahren, welche Stände, welche
Läden am nächsten waren. Allerdings durfte man das nicht zu häufig tun, sonst kam
man nie dort an, wo man hin wollte.
    In der Annahme,
dass Katrein ihr folgen würde, ging sie weiter und sah sich um. In den nach vorn
offenen unteren Stockwerken der Häuser hatten die Händler die Holzläden vor den
Geschäften nach oben geklappt und mit Stricken an Ösen befestigt, die sie irgendwann
einmal mit kräftigen Schlägen in die Hauswände getrieben hatten. Der Geruch nach
Kohl und gesottenem Fleisch aus einer Garküche zog an ihr vorbei. Nebenan breitete
ein Tuchmacher bunte Stoffe auf einem Holzgestell aus. Jolanthe strich mit den Fingern
über den groben Wollstoff und nickte anerkennend über die sattgrüne Farbe, die ein
wenig in Gelb überging und damit den Frühling selbst widerzuspiegeln schien, der
aus allen Ecken kroch.
    Im Haus
daneben verkaufte die Bäckersfrau frisches Brot, während ihr Gatte im hinteren Teil
des Raumes Teigfladen in den Ofen schob, das Gesicht gerötet von der Hitze, die
ihm entgegenschlug, wenn er die Klappe öffnete. Jolanthe blieb so unvermittelt stehen,
dass die Magd in sie hineinlief. Wusste ich’s doch, sie ist unaufmerksam.
    »Dummes
Gör! Kannst du nicht aufpassen?«, sagte sie mehr zu sich als zu dem Mädchen, doch
das knickste und schaute verschämt auf den Boden, die Hände verkrampft um den Henkel
des Korbes, den sie trug. Jolanthe tätschelte ihr aufmunternd den Arm. Katrein hatte
es nicht leicht bei ihnen im Haus. Seit dem Tod der Mutter führte Sieglinde ihrem
Vater Winald den Haushalt und weiß Gott, die Schwester war nicht einfach zufriedenzustellen,
das wusste Jolanthe nur zu gut. Die Magd, die ihnen zuvor zu Diensten war, hatte
Sieglinde zum Teufel geschickt, weil sie zwei Widerworte zu viel in den Mund genommen
hatte. Katrein hingegen verhielt sich demütig genug, wie es schien. Jolanthe hätte
ihr gern mehr Mut zugesprochen, doch damit hätte sie dem Mädchen keinen Gefallen
getan.
    Sie wandte
sich der Bäckerin zu und setzte ein Lächeln auf, von dem sie hoffte, dass es gewinnend
wirkte. Eine Mischung irgendwo zwischen fröhlich, höflich und spitzbübisch, das
sie nach Belieben verwenden konnte, weil sie es eingeübt hatte. Sie hatte gelernt,
wie wichtig die Mimik bei der Geschäftemacherei war. Manches glich einem Spiel.
Wer zuerst eine Schwäche zeigte, hatte verloren.
    »Seid gegrüßt,
Hermine, wie geht es den Kindern? Ich habe letzt erst zu meiner Schwester gesagt,
wie prächtig doch die Kleinen vom Bäcker Johann gedeihen.«
    Die Bäckersfrau
blies verdrießlich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und stemmte beide Hände in die
beleibten Hüften. Sie musterte Jolanthe. Dann antwortete sie: »Kommt mir nicht so
freundlich, wir haben kein Brot von gestern, und wenn Ihr wieder zehn Laib zum Preis
von neunen haben wollt, schert Euch zur Konkurrenz. Bei uns gibt’s keine Sonderpreise
für niemanden. Auch nicht für die reiche Tochter vom Kaufmann Winald Kun.«
    Jolanthe
winkte dem Bäcker verstohlen zu, der sich bei den Worten seiner Frau umdrehte. Er
zwinkerte verschwörerisch, bevor er sich bückte, um einen Klumpen Teig aus einem
Bottich zu holen. Er warf ihn auf eine mit Mehl bestäubte Arbeitsfläche und knetete
ihn mit beiden Händen.
    »Beruhigt
Euch, so reich sind wir nun nicht, es gibt weit bedeutendere Handelshäuser in Ulm«,
sagte sie zu Hermine. »Wir müssen genauso mit unserem Hab und Gut haushalten wie
Ihr. Ich nehme drei Brote, fünf Pasteten und drei von den süßen Seelen.«
    Bei ihrem
letzten Einkauf hatte sie der Bäcker bedient. Sie hatte ihn um einiges herunterhandeln
können, und es hatte ihnen beiden Freude bereitet, auch wenn er, wie sie zugeben
musste, sicher ungünstiger aus dem Ganzen hervorging als sie.
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