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Das Katastrophenprinzip.

Das Katastrophenprinzip.

Titel: Das Katastrophenprinzip.
Autoren: Stanislaw Lem
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Kondensation übergeht, verhalten sich nicht alle gleich. Wenn der Kollaps, aus dem ein Stern hervorgehen wird, beginnt, ist das Zentrum der Wolke stärker verdichtet als ihre Peripherie. Die sternbildenden Fragmente sinddaher von unterschiedlicher Masse. Sie enthalten im Zentrum zwei bis vier und am Rande zehn bis zwanzig Sonnenmassen. Aus den Kondensaten im Inneren können kleine, langlebige Sterne entstehen, die Milliarden Jahre lang mehr oder weniger im gleichen Glanz erstrahlen. Ein solcher Stern ist die Sonne. Aus den großen peripheren Sternen dagegen können Supernovae entstehen, die nach einer für astronomische Verhältnisse kurzen Lebenszeit durch gewaltige Explosionen auseinandergerissen werden.
    Darüber, wie die Wolke, aus der wir entstanden sind, zu kondensieren begonnen hat, weiß man nichts; man kann lediglich das Schicksal jenes begrenzten Fragments rekonstruieren, in dem es zur Entstehung der Sonne und der Planeten kam. Als dieser Prozeß einsetzte, verseuchten Supernovae, die in der Nähe explodierten, die protosolare Wolke mit ihren radioaktiven Trümmern. Mindestens zweimal ist es zu einer solchen Verseuchung gekommen. Beim ersten Mal wurde die Wolke mit Jod- und Plutoniumisotopen verseucht – ganz sicher in der Nähe der Innenkante des Spiralarms, beimzweiten Mal wurde sie, nun innerhalb der Spirale, von einer anderen Supernova mit radioaktiven Isotopen des Aluminiums bombardiert (300 Millionen Jahre später). Anhand der Zeit, innerhalb deren diese Isotopen sich durch Zerfall in andere Elemente verwandeln, kann man abschätzen, wann es zu den beiden Verseuchungen gekommen ist. Die kurzlebigen Isotope des Jods und des Plutoniums bildeten am Ende das stabile Isotop des Xenons, und das radioaktive Isotop des Aluminiums verwandelte sich in Magnesium. In Meteoren unseres Sonnensystems hat man dieses Xenon und Magnesium gefunden. Durch einen Vergleich dieser Daten mit dem Alter der Erdrinde (das anhand der Zerfallszeiten der in ihr enthaltenen langlebigen Isotope des Urans und des Thoriums geschätzt wird) kann man einander angenäherte, wenn auch nicht identische »Szenarien« der solaren Kosmogonie rekonstruieren. Die Zeichnung entspricht einem Szenario, bei dem die Gaswolke zum ersten Mal die Spirale von zehneinhalb Milliarden Jahren durchwanderte. Sie hatte damals noch keine kritische Dichte, und so ist es nicht zurFragmentierung und zur Entstehung von Kondensaten gekommen. Dazu kam es erst, nachdem die Wolke vor 4,6 Milliarden Jahren in den anderen Arm der Galaxie eingedrungen war. Die in der Umgebung der Kondensate herrschenden Bedingungen förderten die Entstehung von Supernovae, die innerhalb bestehenden Bedingungen die Entstehung von kleineren Sternen vom Typ der Sonne. Der Kompression und den Eruptionen von Supernovae ausgesetzt, verwandelte sich das protosolare Kondensat in die junge Sonne mitsamt ihren Planeten, Kometen und Meteoren. Dieses kosmogonische Szenario ist nicht frei von Vereinfachungen. Die Fragmentierung der Gaswolken erfolgt zufällig; durch die riesigen Räume der Spiralarme verlaufen Stoß fronten, hervorgerufen durch unterschiedliche Kataklysmen; Eruptionen von Supernovae können bei der Entstehung solcher Fronten zusammenwirken.
    Die Galaxien gebären noch immer Sterne, denn der Kosmos, in dem wir wohnen, ist zwar nicht jung, aber auch noch nicht alt. Die am weitesten in die Zukunft reichenden Simulationsberechnungen deuten daraufhin, daß am Ende das ganze Material der Sternbildung erschöpft sein wird, daß die Sterne erlöschen und ganze Galaxien radiativ und korpuskular »verdampfen« werden.
    Von diesem »thermodynamischen Tod« trennen uns etwa 10 100 Jahre. Sehr viel früher (in etwa 10 15 Jahren) werden sämtliche Sterne ihre Planeten dadurch verlieren, daß andere Sterne in der Nähe vorbeiwandern; durch starke Perturbationen aus ihren Bahnen geworfen, werden sämtliche Planeten, ob belebt oder unbelebt, in unendlichem Dunkel und in Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt versinken. Es klingt zwar paradox, doch ist es leichter, vorherzusagen, was in 10 15 oder 10 100 Jahren mit dem Weltall geschehen wird – oder was in den ersten Minuten seiner Existenz geschehen ist –, als genau sämtliche Etappen der Geschichte von Sonne und Erde zu rekonstruieren. Noch schwerer läßt sich vorhersehen, was mit unserem System geschehen wird, wenn es die stille Leere verläßt, die sich zwischen den Sternhaufen der beiden galaktischen Arme, zwischen Perseus und Schütze
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