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Das Katastrophenprinzip.

Das Katastrophenprinzip.

Titel: Das Katastrophenprinzip.
Autoren: Stanislaw Lem
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haben. Daher kann man den Verlauf des galaktischen »Spiels ums Leben« erst ex post erkennen, wenn man dabei gewonnen hat. Man kann das Geschehene rekonstruieren, obwohl es am Anfang nicht vorhersehbar war. Man kann es allerdings nicht völlig genau rekonstruieren, sondern nur in der Weise, wie man die Geschichte menschlicher Stämme aus einer Zeit rekonstruiert, in der die Menschen noch nicht desSchreibens kundig waren und daher weder Chroniken noch Dokumente hinterlassen haben, sondern lediglich die Erzeugnisse ihrer Hände, zu denen der Archäologe sich vorgräbt. Die galaktische Kosmologie verwandelt sich dann in eine »stellar-planetare Archäologie«. Diese Archäologie erkundet jenes eigentümliche Spiel, dessen großer Treffer wir selbst sind.

II
    Gut zwei Drittel der bekannten Galaxien hat die Form einer spiralförmigen Scheibe mit einem Kern, von dem zwei Arme abgehen, wie bei unserer Milchstraße. Das galaktische Gebilde, das aus Gas- und Staubwolken sowie aus Sternen besteht (die nach und nach in ihm entstehen und vergehen), dreht sich, wobei der Kern mit größerer Winkelgeschwindigkeit rotiert als die Arme, die, weil sie nicht mitkommen, abknicken und dadurch eben dem Ganzen die Form einer Spirale verleihen.
    Die Arme bewegen sich jedoch nicht mit der gleichen Geschwindigkeit wie die Sterne.
    Ihre konstante Spiralform verdankt eine Galaxie den Verdichtungswellen, bei denen die Sterne die Rolle von Molekülen in einem gewöhnlichen Gas spielen.
    Wegen ihrer unterschiedlichen Umlaufgeschwindigkeiten bleiben Sterne, die weit vom Kern entfernt sind, hinter dem Armzurück, während solche, die sich in der Nähe des Kerns befinden, den Spiralarm einholen und durch ihn hindurchlaufen. Die gleiche Geschwindigkeit wie der Arm haben nur Sterne in mittlerer Entfernung vom Kern, auf dem sogenannten Korotationskreis. Die Gaswolke, aus der die Sonne mit ihren Planeten entstehen sollte, befand sich vor rund fünf Milliarden Jahren auf der Innenseite der Krümmung eines Spiralarms. Sie holte diesen Arm mit der geringfügigen Geschwindigkeitsdifferenz von etwa einem Kilometer pro Sekunde ein. In die Verdichtungswelle eingedrungen, wurde diese Wolke mit den radioaktiven Produkten einer Supernova verseucht, die in ihrer Nähe explodierte (es handelte sich um Jod- und Plutoniumisotope). Diese Isotopen zerfielen, bis aus ihnen ein anderes Element entstand: Xenon. Unterdessen wurde diese Wolke durch die Verdichtungswelle, in der sie schwamm, komprimiert, und das begünstigte ihre Kondensation, bis aus ihr schließlich ein junger Stern hervorging – die Sonne. Gegen Ende dieser Periode, vor etwa viereinhalb Milliarden Jahren, explodierte in der Näheeine andere Supernova, welche den zirkumsolaren Nebel (denn nicht das gesamte protosolare Gas hatte sich schon in der Sonne konzentriert) mit radioaktivem Aluminium verseuchte. Dadurch wurde die Entstehung der Planeten beschleunigt, vielleicht auch bewirkt. Damit die Scheibe der um den jungen Stern rotierenden Gase sich in Segmente auflösen und zu Planeten verdichten konnte, bedurfte es, wie Simulationsrechnungen gezeigt haben, einer »Intervention von außen«, eines gewaltigen »Stoßes«; er kam von der Supernova, die damals nicht weit von der Sonne explodierte.
    Woher wir das alles wissen? Aus der Verteilung der Radioisotopen in den Meteoren des Sonnensystems; wenn man die Halbwertzeit der genannten Isotope (von Jod, Plutonium und Aluminium) kennt, kann man errechnen, wann die protosolare Wolke mit ihnen verseucht wurde. Das ist mindestens zweimal geschehen; anhand der unterschiedlichen Zerfallszeit dieser Isotopen läßt sich bestimmen, daß die erste Verseuchung durch die Explosion einer Supernova kurz nach dem Eindringen der protosolarenWolke in den galaktischen Arm erfolgte, während die zweite Verseuchung (durch radioaktives Aluminium) rund 300 Millionen Jahre später eintrat.
    Die Sonne hat also ihren ersten Entwicklungsabschnitt in einem Gebiet starker Strahlung und gewaltiger Stöße zugebracht, durch welche die Planetenentstehung ausgelöst wurde, dann aber – mit den bereits erkaltenden und erstarrenden Planeten – diese Zone verlassen. Sie entwich in einen weitgehend leeren, von den stellaren Katastrophen abgeschirmten Raum, und dank dessen hat das Leben auf der Erde entstehen und sich ohne mörderische Störungen entwickeln können.
    Wenn man nach diesem Bild geht, muß man hinter die Regel des Kopernikus, nach der die Erde (mitsamt der Sonne) sich nicht an
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