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Das Katastrophenprinzip.

Das Katastrophenprinzip.

Titel: Das Katastrophenprinzip.
Autoren: Stanislaw Lem
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sich zwar über Milliarden Jahre hinziehen könne, die letzte, technologische Phase aber kaum einige Jahrtausende dauere. Andere Hypothesen wiesen auf die Gefahren hin, die das 20. Jahrhundert sogar in der friedlichen Expansion der Technologie entdeckte, die mit ihren Nebenwirkungen die Biosphäre als Brutstätte des Lebens vernichtet. Die bekannten Worte Wittgensteins paraphrasierend, hat einmal jemand gesagt: »Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man dichten .« Wohl als erster hat Olaf Stapledon in dem fantastischen Roman »Last and First Men« unserSchicksal in den Satz gefaßt: »Die Sterne schaffen den Menschen und die Sterne töten ihn.« In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, als er diese Worte schrieb, waren sie allerdings eher »Dichtung« als »Wahrheit«, waren sie eine Metapher und nicht eine Hypothese, die imstande wäre, sich um Aufnahme in das Reich der Wissenschaft zu bewerben.
    Jeder Text kann indessen mehr an Bedeutung enthalten, als sein Autor in ihn hineingelegt hat. Vor vierhundert Jahren behauptete Francis Bacon, daß fliegende Maschinen ebenso möglich seien wie Maschinen, die über die Erde dahinsausen und auf dem Meeresboden laufen. Er hat sich solche Geräte zweifellos nicht konkret vorgestellt, aber wir, die wir heute diese Worte lesen, legen nicht nur unser allgemeines Wissen in sie hinein, daß es tatsächlich so gekommen ist, sondern wir erweitern ihre Bedeutung noch durch eine Vielzahl von uns bekannten konkreten Einzelheiten, wodurch das Gewicht jener Aussage sich noch erhöht.
    Etwas Ähnliches ist mit der Vermutung passiert, die ich bei der amerikanisch-sowjetischenCETI-Konferenz in Bjurakan 1971 zu Protokoll gegeben habe (man kann meinen Text nachlesen in dem Buch Problema CETI, erschienen 1975 im Verlag MIR in Moskau). Ich schrieb damals: »Wenn die Verteilung von Zivilisationen im Weltall nicht zufällig ist, sondern festgelegt durch astrophysikalische Gegebenheiten, die wir nicht kennen, obgleich sie mit den beobachtbaren Phänomenen zusammenhängen, dann sind die Chancen eines Kontakts um so geringer, je stärker der Zusammenhang zwischen der Lokalisierung einer Zivilisation und der Beschaffenheit der stellaren Umgebung ist, je mehr sich also die räumliche Verteilung der Zivilisationen von einer Zufalls verteilung unterscheidet. Man darf schließlich nicht von vornherein ausschließen, daß es astronomisch feststellbare Indizien für die Existenz einer Zivilisation gibt. (…) Daraus folgt, daß es zu den Regeln des Programms CETI gehören sollte, den vorläufigen Charakter unserer astrophysikalischen Kenntnisse zu berücksichtigen, denn neue Entdeckungen werden selbst die fundamentalen Annahmen von CETI verändern.«
    Genau das ist eingetreten, oder vielmehr: es tritt nach und nach ein. Aus neuen Entdeckungen der galaktischen Astronomie, aus neuen Modellen der Planeten- und Sternentstehung und aus dem Vorkommen radioaktiver Isotope in den Meteoren unseres Sonnensystems schält sich wie aus den verstreuten Teilen eines Geduldspiels allmählich ein neues Bild heraus, das die Geschichte des Sonnensystems und die Entstehung von Leben auf der Erde rekonstruiert, ein Bild, dessen Aussage ebenso sensationell ist, wie sie zu dem bisher anerkannten Bild im Widerspruch steht.
    Aus den Hypothesen, in denen die zehn Milliarden Jahre der Existenz der Milchstraße rekonstruiert werden, geht – um es vorweg kurz und bündig zu sagen – hervor, daß der Mensch entstanden ist, weil der Kosmos ein Schauplatz von Katastrophen ist, und daß die Erde mitsamt dem Leben ihre Entstehung einer eigentümlichen Serie solcher Katastrophen verdankt; daß die Sonne ihre Planetenfamilie infolge gewaltiger Kataklysmen, die sich in der Nähe abspielten, gebar, daß das Sonnensystem dann aus demGebiet der katastrophalen Störungen herauskam; deshalb konnte das Leben entstehen und sich entwickeln, um schließlich die ganze Erde zu erobern. Während der folgenden Jahrmilliarde bestand im Grunde keine Chance für die Entstehung des Menschen, weil der Entwicklungsbaum der Arten nicht die Gelegenheit dazu bot, doch dann schuf eine weitere Katastrophe der Anthropogenese dadurch freie Bahn, daß sie Hunderte Millionen von irdischen Kreaturen umbrachte.
    Den zentralen Platz in diesem neuen Weltbild nimmt also eine Schöpfung ein, die auf der Zerstörung und der sich daran anschließenden Systementspannung beruht. Noch knapper kann man es auch so sagen: Die Erde ist entstanden, weil die Ursonne in
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