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Das Katastrophenprinzip.

Das Katastrophenprinzip.

Titel: Das Katastrophenprinzip.
Autoren: Stanislaw Lem
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sophisticated but He is not malicious«, was besagen sollte: Es ist schwierig, die Ordnung der Welt zu erkennen, aber möglich ist es, denn sie ist der Vernunft zugänglich.
    Das ausgehende 20. Jahrhundert bringt nun eine allgemeine Abkehr von diesen in Jahrtausenden hartnäckig und verzweifelt behaupteten Positionen. Die Alternative »Zerstörung oder Schöpfung« muß schließlich aufgegeben werden. Gewaltige, dunkle Wolken kalten Gases, die in den Armen der Galaxien kreisen, zerfallen allmählich in Fragmente, die ebenso unvorhersehbar sind wie die Splitter eines zerspringenden Glases. Die Naturgesetze machen sich nicht trotz der Zufälle, sondern durch sie geltend. Die statistische Furie der Sterne, die milliardenfach abortieren, um einmal Leben zu gebären, das in Millionen von Gattungen durch eine zufällige Katastrophe hingemordet wird, um einmal in der Vernunft zu gipfeln –das ist die Regel und nicht die Ausnahme im Weltall. Sonnen entstehen aus der Vernichtung anderer Sterne, und in der gleichen Weise gerinnen die Überreste prästellarer Wolken zu Planeten. Das Leben ist einer der seltenen Gewinne in dieser Lotterie, und die Vernunft ist ein noch ungewöhnlicherer Gewinn in weiteren Ziehungen, verdankt sie ihre Entstehung doch der natürlichen Auslese, also dem Tod, der diejenigen, die ihm entgehen, vervollkommnet, und Katastrophen, welche die Chance des Auftretens vernunftbegabter Wesen plötzlich erhöhen können. Daß der Aufbau der Welt mit dem Aufbau des Lebens zusammenhängt, steht inzwischen außer Zweifel, doch ist der Kosmos ein ungeheuer verschwenderischer Investor, der das Anfangskapital im Roulette der Galaxien verschleudert, aber er hat einen Mitarbeiter, der eine gewisse Regelmäßigkeit in dieses Spiel hineinbringt: das Zufallsgesetz der großen Zahl. Der Mensch, geformt durch jene Eigenschaften der Materie, die zusammen mit der Welt entstanden sind, erweist sich als eine seltene Ausnahme von der Regel der Zerstörung, als ein Übriggebliebenervon Verheerungen und Brandopfern. Schöpfung und Zerstörung sind einander bedingende Sachverhalte, vor denen es keine Ausflucht und gegen die es keine Berufung gibt.
    Dies ist das Bild, das die Wissenschaft Schritt für Schritt schafft; bislang kommentiert sie es nicht, sondern sie begnügt sich damit, es aus den Entdeckungen der Biologie und aus kosmogonischen Rekonstruktionen – wie ein Mosaik aus nach und nach gefundenen Steinchen – zusammenzusetzen. Hier könnte ich eigentlich einen Punkt machen, doch möchte ich noch einen Augenblick bei der letzten Frage verweilen, die man stellen darf.
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    * In den heiligen Büchern sämtlicher Religionen kommt das Wort »Zufall« nicht vor.

VII
    Das Bild der Wirklichkeit, das von der Wissenschaft des 21. Jahrhunderts verbreitet werden wird, konnte ich skizzieren, weil seine Umrisse sich schon heute in der Wissenschaft abzeichnen.
    Es sind die besten Fachleute, die dieses Bild schaffen und ihm die Echtheitsgarantie verleihen. Die Frage, mit der ich weitergehen möchte, dorthin, wo man selbst mit Vermutungen nicht mehr hingelangt, gilt der Dauerhaftigkeit dieses Bildes, sie lautet also, ob es nun das letzte, endgültige Bild sein wird.
    Die Geschichte der Wissenschaft lehrt, daß jedes der Weltbilder, die sie schuf, jeweils als endgültig betrachtet wurde, dann aber doch Korrekturen erfuhr, bis es schließlich zerfiel wie das Muster eines zerschlagenen Mosaiks, und daß nachfolgende Generationen sich dann von neuem darangemacht haben, es zusammenzufügen. Die verschiedenen Religionen beruhen aufDogmen, deren Ablehnung stets zunächst einer abscheulichen Ketzerei und dann der Entstehung einer anderen Konfession gleichkam. Ein Glaube, der in seinen Anhängern lebt, ist eine letzte, endgültige und damit unwiderrufliche Wahrheit. Die »Gewißheiten«, welche die wissenschaftliche Erkenntnis auszeichnen, sind »nicht gleichermaßen gewiß«; auch deutet nichts darauf hin, daß wir uns dem Ziel der Erkenntnis nähern, der letztlichen Vereinigung des unumstößlichen Wissens mit der nicht zu beseitigenden Unwissenheit. Es steht außer Zweifel, daß die Erkenntnisse, die durch den materiellen Erfolg ihrer Anwendung beglaubigt sind, zugenommen haben. Wir wissen mehr als unsere Vorgänger im 19. Jahrhundert, und sie wußten wiederum mehr als ihre wissenschaftlichen Vorväter; zugleich erkennen wir jedoch die Unerschöpflichkeit der Welt, die Grenzenlosigkeit des Eindringens in die Geheimnisse der Materie, denn
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