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Das Katastrophenprinzip.

Das Katastrophenprinzip.

Titel: Das Katastrophenprinzip.
Autoren: Stanislaw Lem
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ungeschickt bewegt und lange, schwere Schwänze hinter sich hergeschleppt usw.
    Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat man zugeben müssen, daß die Saurier des Mesozoikums ebenso Warmblüter gewesen sind wie die Säugetiere, daß ihre zahlreichen Arten – insbesondere die fliegenden– ein Haarkleid besaßen, daß die zweibeinigen Saurier keineswegs langsam gegangen sind und einen Schwanz hinter sich hergeschleppt haben, sondern daß sie ebenso schnell liefen wie die Strauße, obwohl sie hundert-, ja zweihundertmal schwerer waren als sie, während der Schwanz, durch spezielle Sehnenbänder waagerecht gehalten, während des Laufs ein Gegengewicht zu dem vorgestreckten Rumpf bildete. Man hat zugeben müssen, daß selbst die allergrößten Gigantosaurier sich ungehindert zu Lande bewegen konnten und daß es töricht ist, von einer »Primitivität« der Saurier zu sprechen. Da ich mich hier nicht auf einen gründlichen Vergleich zwischen ausgestorbenen und heutigen Gattungen einlassen kann, möchte ich nur an einem Beispiel zeigen, was für eine seither nie wieder erreichte Leistungsfähigkeit bestimmte Flugsaurier besaßen. Der »biologische Flugrekord« gebührt keineswegs den Vögeln (und noch viel weniger den fliegenden Säugetieren, den Fledermäusen). Das größte Tier der irdischen Lufthülle ist Quetzalcoatlus Northropi gewesen, der an Körpermasse den Menschen übertraf. Er ist
    übrigens nur einer aus einer Gruppe von Gattungen gewesen, die den Namen Titanopterygia erhielt. Das waren Saurier, die über dem Meer schwebten und sich von Fischen ernährten. Man weiß nicht, wie sie landen und sich in die Lüfte aufschwingen konnten, denn bei dem Gewicht ihres Körpers erforderte das eine Kraft, wie sie die Muskeln heute lebender Tiere (so auch der Vögel) nicht zu entfalten vermögen. Als man in Texas und in Argentinien Überreste von ihnen fand, vermutete man zunächst, daß diese Riesen der Luft, die mit ihrer Flügelspannweite Kleinflugzeugen, ja sogar größeren Flugzeugen (13 bis 15 Meter) gleichkamen, auf Steilhängen gelebt und genistet haben, von denen sie sich mit ausgebreiteten Flügeln in die Luft warfen. Wenn sie nicht fähig gewesen wären, aus der Ebene zu starten, wäre jeder, der sich auch nur einmal auf flachem Grund niederließ, zum Tode verurteilt gewesen. Einige dieser großen Gleitflieger nährten sich von Aas – und das findet man nicht auf felsigen Höhen. Überdies wurden ihre riesigen Knochen in berglosen Gegenden gefunden. Wie diese Saurier geflogensind, ist für die Fachleute der Aerodynamik ein Rätsel. Keine der Hypothesen, die zur Erklärung dieses Rätsels vorgebracht worden sind, ließ sich aufrechterhalten. Kolosse von der Art des Quetzalcoatl konnten sich nicht auf Bäumen niederlassen, denn das hätte bedeutet, daß sie sich häufig verletzt oder die Flügel gebrochen hätten. Das größte, uns bekannte Exemplar eines flugfähigen Vogels ist ein bestimmter ausgestorbener Geier, dessen Flügelspannweite beinahe sieben Meter betrug; bei einer Verdoppelung dieser Größe entsteht ein ungeheurer Energiebedarf für das Auffliegen. Es war auch nicht möglich, daß die großen Flugsaurier mit einem Anlauf starteten, denn dafür waren ihre Beine zu kurz und zu schwach.
    Als der Vorwurf, die Saurier seien an ihrer »Primitivität« zugrunde gegangen, hinfällig wurde, ersetzte man ihn durch den gegenteiligen einer zu weit getriebenen Spezialisierung. Die Saurier sollen untergegangen sein, weil sie, allzu eng an die herrschenden Umweltbedingungen angepaßt, dem Verhängnis einer Klimaänderung zum Opfer fielen. Klimatische Veränderungen hat es in der Geschichteder Erde tatsächlich gegeben. Jeder weiß von den Eiszeiten. Auch der Vernichtung von Leben am Übergang von der Kreidezeit zum Tertiär ist eine Abkühlung vorausgegangen. Sie hat dann jedoch keine Eiszeit nach sich gezogen. Wesentlicher ist aber, daß bei keiner Klimaänderung jemals so viele Tier- und Pflanzenarten auf einen Schlag ausgestorben sind. In den geologischen Schichten der anschließenden Periode sind plötzlich keine fossilen Überreste mehr von ihnen zu finden. Wie Berechnungen ergeben haben, ist damals kein Tier mit einem Körpergewicht von mehr als zwanzig Kilogramm mit dem Leben davongekommen. Auch haben ähnliche Hekatomben niemals den ganzen Globus umfaßt. Damals sind viele wirbellose Tiere ausgestorben, und zwar nahezu gleichzeitig zu Lande und in den Meeren. Es geschah so etwas wie bei einer
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