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Das Katastrophenprinzip.

Das Katastrophenprinzip.

Titel: Das Katastrophenprinzip.
Autoren: Stanislaw Lem
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gleichzusetzen ist. Für ihre Entstehung ist ein solches Gehirn eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung. Die außergewöhnliche Intelligenz, mit der angeblich die Delphine begabt sind, weil ihr Gehirn tatsächlichgrößer und komplexer ist als das des Menschen, diese Intelligenz der Delphine, über die in unserer Zeit so viel geschrieben wird, wird man zu den Fabeln rechnen müssen. Gewiß brauchten die Delphine dieses große Gehirn als Instrument der Anpassung, um in ein und demselben ozeanischen Milieu mit den sehr »dummen« Haien erfolgreich konkurrieren zu können; dank dieses großen Gehirns konnten die Delphine in eine ökologische Nische eindringen, die bereits seit Jahrmillionen von Raubfischen besetzt war, und sich in ihr behaupten, mehr aber auch nicht.
    So kann man denn auch nichts darüber sagen, welche Chancen für das Aufleuchten von Intelligenz bei Sauriern bestanden hätten, wenn nicht die Katastrophe des Mesozoikums gewesen wäre.
    Die Evolution sämtlicher Tiere (mit Ausnahme bestimmter Parasiten) ist durch eine allmähliche, aber beinahe ununterbrochene Zunahme der neuralen Masse gekennzeichnet. Doch selbst wenn diese Zunahme sich über Hunderte von Jahrmillionen, über Trias, Jura, Kreide, Tertiär usw. erstreckthaben sollte, würde auch das nicht die Entstehung von vernunftbegabten Echsen garantieren.
    Die von Kratern übersäten Oberflächen sämtlicher Monde unseres Planetensystems sind gleichsam Fotografien der Vergangenheit, ein erstarrtes Bild vom Anfang dieses Systems, der ebenfalls eine Schöpfung durch Zerstörung gewesen ist. Alle Körper kreisten um die junge Sonne, und dabei überschnitten sich ihre Bahnen häufig, so daß es zwischen ihnen zu Kollisionen kam. Die Masse der großen Körper, also der Planeten, nahm durch solche Katastrophen zu, doch gleichzeitig »verschwanden« die mit den Planeten kollidierenden Körper von geringer Masse aus dem System. Vor etwa 4,9 Milliarden Jahren schob sich, wie schon gesagt, die Sonne mit ihrer Planetenfamilie aus der turbulenten Zone der galaktischen Spirale heraus und entschwebte in den friedlichen Raum. Das bedeutet jedoch durchaus nicht, daß es damals innerhalb des Sonnensystems gleichfalls friedlich zugegangen wäre. Es gab noch immer interne Kollisionen der Planeten mit Meteoriten und Kometen, als auf derErde schon Leben zu keimen begann, und außerdem kommt man aus einem Spiralarm nicht so heraus, wie man aus dem Haus auf die Straße tritt; das Vorkommen von Strahlung und von Sternen reißt nicht an einer Stelle plötzlich ab. Auch während der ersten Jahrmilliarde der Existenz von Leben war die Erde noch Schlägen ausgesetzt, allerdings von Supernovae, die weit genug entfernt waren, um nicht alles zu vernichten und sie in einen leblosen Globus zu verwandeln. Die aus stellaren Fernen eintreffende harte Strahlung (Röntgen- und Gammastrahlen) war ein zugleich zerstörerischer und schöpferischer Faktor, denn sie beschleunigte genetische Mutationen bei den Urorganismen. Manche Insekten sind für die mörderische Wirkung der Radioaktivität hundertmal unempfindlicher als Wirbeltiere. Das ist eigentlich sehr sonderbar, wenn man bedenkt, daß die Erbsubstanz sämtlicher lebenden Organismen einen im Prinzip identischen Aufbau zeigt und Abweichungen ungefähr auf die Unterschiede hinauslaufen, die wir bei Ziegel- und Steinbauwerken aus unterschiedlichen Kulturen,Epochen und architektonischen Stilrichtungen beobachten. Das Baumaterial, seine Verbindungen und die das Ganze zusammenhaltenden Kräfte sind überall dieselben.
    Die unterschiedliche Empfindlichkeit gegen die tödliche Kernstrahlung muß durch sehr weit zurückliegende Ereignisse hervorgerufen worden sein, und das sind sicherlich Katastrophen jener Epoche gewesen, in der, vor rund 430 Millionen Jahren, die Urinsekten oder vielmehr deren Vorfahren entstanden. Es ist jedoch nicht auszuschließen, daß die »Desensibilisierung« bestimmter organischer Formen gegen eine Strahlung, die für die meisten anderen tödlich ist, schon vor Milliarden Jahren erfolgt ist.
    Wird es also im nächsten Jahrhundert zur Wiederbelebung jener Theorie kommen, die der französische Paläontologe und Anatom Cuvier um 1830 entwickelte und die als Katastrophentheorie bekannt ist? Prozesse von geologischem Ausmaß wie etwa Gebirgsbildungen, Klimaänderungen oder das Entstehen und Verschwinden von Meeren sind nach dieser Theorie als plötzliche, rasche Wandlungen, also als planetare
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