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Das Katastrophenprinzip.

Das Katastrophenprinzip.

Titel: Das Katastrophenprinzip.
Autoren: Stanislaw Lem
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dieser Vorgänge gehört, daß es der »richtigen« Synchronisation zwischen der Sternbildung innerhalb einer solchen Wolke und den Eruptionen von Supernovae außerhalb bedarf und daß außerdem – conditio, sine qua non est longa vita – ein System, in dem die Biogenese begonnen hat, schleunigst aus dem turbulenten Bereich der Spirale heraus »muß« in die stille Leere des Raumes zwischen den Armen.
    Seit Ende der siebziger Jahre ist es Mode geworden, die kosmogonischen Hypothesen um einen Faktor zu bereichern, den man Anthropic Principle nennt. Dieser Faktor reduziert das Rätsel der Anfangsbedingungen des Kosmos auf ein Argument ad hominem : Wären jene Bedingungen radikal andere gewesen, als sie es in Wirklichkeit waren, so wäre diese Frage nicht entstanden, denn dann würde es auch uns nicht geben.
    Man erkennt unschwer, daß das Anthropic Principle genaugenommen (der Homo sapiens ist deshalb entstanden, weil diese Möglichkeit schon im Urknall, also in den Anfangsbedingungen des Universums enthalten war) wissenschaftlich genausoviel taugt wie ein »Chartreuse Liqueur Principle« als kosmogonisches Kriterium. Gewiß wurde die Erzeugung dieses Likörs durch die Eigenschaften der Materie DIESES Kosmos ermöglicht, doch kann man sich die Geschichte DIESES Kosmos, DIESER Sonne, DIESER Erde und DIESER Menschheit sehr wohl OHNE die Entstehung von Chartreuse vorstellen. Dieser Likör ist entstanden, weil die Menschen sich lange mit der Erzeugung verschiedener Getränke befaßt haben, darunter auch solcher, die Alkohol, Zucker und Pflanzenextrakte enthalten. Dies ist eine sinnvolle, wenn auch allgemeine Antwort. Wenn dagegen auf die Frage nach der Entstehung dieses Likörs geantwortet wird, daß er entstanden sei, »weil die Anfangsbedingungen des Kosmos entsprechend waren«, so ist diese Antwort in geradezu lächerlicher Weise unzureichend. Ebensogut könnte man behaupten, daß der Volkswagen oder dieBriefmarke ihre Entstehung den Anfangsbedingungen des Weltalls verdanken. Eine solche Antwort erklärt ignotum per ignotum. Zugleich stellt sie einen circulus in explicando dar: Es entstand, was entstehen konnte . Eine solche Antwort geht an der auffälligsten Besonderheit des Urkosmos vorbei. Nach der herrschenden Urknalltheorie ist der Kosmos mit einer Explosion entstanden, die gleichzeitig die Materie, die Zeit und den Raum schuf. Die machtvolle Ausstrahlung der weltschöpferischen Explosion hat Spuren im Kosmos hinterlassen, die auch heute noch zu beobachten sind, denn ihre Überreste sind als Hintergrundstrahlung allgegenwärtig. In den rund 20 Milliarden Jahren seit der Entstehung des Kosmos konnte die Strahlung seines ersten Augenblicks bis auf einige Grad über dem absoluten Nullpunkt abkühlen. Die Intensität dieser Reststrahlung muß jedoch nicht in allen Himmelsrichtungen homogen sein. Der Kosmos ist aus einem Punkt von unendlicher Dichte hervorgegangen und hat sich innerhalb von 10 –35 Sekunden zur Größe eines Fußballs ausgedehnt. Bereits in diesemAugenblick war er zu groß, und er dehnte sich allzu schnell aus, als daß er vollkommen homogen hätte bleiben können. Die kausalen Zusammenhänge zwischen Ereignissen sind begrenzt durch eine höchste Geschwindigkeit der Einwirkung, und das ist die Lichtgeschwindigkeit. Nur in Gebieten mit einem Umfang von 10 –25 Zentimetern haben solche Zusammenhänge bestehen können, und in einem Kosmos von der Größe eines Fußballs hätten 10 78 solcher Gebiete Platz gefunden. Was in den einen Gebieten geschah, hat somit nicht auf Vorgänge in anderen einwirken können. Der Kosmos muß sich also in inhomogener Weise ausgedehnt haben, ohne die Symmetrie jener überall identischen Eigenschaften zu bewahren, die wir in ihm beobachteten. Was die Urknalltheorie dennoch rettet, ist die Hypothese, daß bei der Schöpfungsexplosion gleichzeitig eine ungeheure Anzahl von Welten entstanden ist. Unser Kosmos war nur eine davon. Die Theorie, welche die Homogenität des aktuellen Kosmos mit der unmöglichen Homogenität seiner Ausdehnung durch die Annahme in Einklang bringt, daß der Urkosmosnicht ein Universum, sondern ein POLIVERSUM darstellte, wurde 1982 veröffentlicht. Man kann die Hypothese vom POLIVERSUM in meinem Büchlein »Imaginäre Größe« finden, das ich zehn Jahre früher (im Jahre 1972) verfaßt habe. Die Ähnlichkeit meiner Hypothesen mit später aufgetauchten Theorien ermutigt mich zu weiteren Mutmaßungen.
    Erinnern wir uns der Flasche, die von dem Ball
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