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Drachenschiffe vor Vinland

Drachenschiffe vor Vinland

Titel: Drachenschiffe vor Vinland
Autoren: Alfred Bekker
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Abschied von Grönland
    Ein eisiger Wind wehte über die Langhäuser der kleinen Wikingersiedlung. Einar Svenson hatte alles, was er an Kleidung besaß, übereinandergezogen. Er trug mehrere knielange Wollgewänder und eng anliegende Hosen, die er in seine Fellstiefel gesteckt hatte. Der Ledergürtel war viel zu lang für einen Neunjährigen. Einar konnte ihn zweimal um seinen Bauch binden, obwohl er so dick angezogen war.
    Sein Vater Sven Bleichhaar hatte ihm den Gürtel gemacht und gemeint, dass er für lange Zeit passen sollte. Alles, was Einar sonst noch besaß, steckte in einem kleinen Bündel, das er über der Schulter trug. Neben ihm stand Freya Svenstochter, seine Zwillingsschwester. Auch sie hatte alle ihre Sachen übereinandergezogen und den Rest in ein Bündel geschnürt. Das blonde Haar war zu einem Zopf gebunden und sie hatte sich eine Decke wie einen Umhang umgehängt.
    »Schade, dass wir wegziehen müssen«, sagte sie.
    »Ja«, murmelte Einar und blickte zu den dreiLangschiffen, die am Strand lagen – bereit, um in Kürze abzulegen. Die Segel flatterten lose im Wind. Ein paar Männer trugen Fässer mit Met und Frischwasser an Bord. »Aber es geht ja nicht anders.«
    »Du redest schon wie Papa!«, meinte Freya.
    »Aber es stimmt doch. Es ist einfach zu kalt hier in Grönland.« Einar sah zu den schneebedeckten Gletschern hinüber, die das gesamte Innere des Landes mit einem Eispanzer überzogen. Nur hier an der Küste gab es einen schmalen Streifen, der im Sommer für wenige Monate grün wurde. Aber das bisschen Gras auf Grönland reichte nicht für die Rinder. Und es gab außerdem keine Bäume und daher immer zu wenig Holz, um Häuser zu bauen und zu heizen.
    Zwei Männer versuchten gerade, eine Kuh auf eines der Schiffe zu zerren, aber das Tier sträubte sich. Einar und Freya beobachteten, wie ihr Vater herbeilief, um es von hinten anzuschieben. Die Kuh muhte laut auf.
    »Ich glaube, die weiß schon, was ihr bevorsteht!«, sagte Freya. »Eine Fahrt durch raue See, bei der es dauernd hin und her schaukelt, dass einem schlecht wird!«
    »Aber in Vinland soll es mehr Gras geben«, wandte Einar ein, »und sogar Bäume!«
    Sven Bleichhaar hatte Einar und Freya oft davon erzählt, wie Bäume aussahen, bevor man ihnen die Äste abschlug und sie fällte. Bäume gab es kaum im kalten Grönland, und die Grönländer mussten immer wieder über das weite Meer fahren, um Holz aus anderen Ländern zu holen. Ganze Schiffsladungen voll Baumstämme brachten sie dann heim, aber nie ganze Bäume mit Wurzeln, Ästen und Blättern.
    Mit viel Mühe hatten die Männer es inzwischen geschafft, die Kuh ins Schiff zu bugsieren. Aber es warteten noch mehr Rinder an Land, die nun unruhig wurden.
    Freya zuckte mit den Schultern. »Wir können sowieso nichts daran ändern«, sagte sie. »Am traurigsten finde ich aber, dass wir Großvater und Großmutter wahrscheinlich für lange, lange Zeit nicht wiedersehen werden. Vielleicht sogar nie mehr, falls wir in dem neuen Land bleiben.«
    »Wer sagt das?«, fragte Einar.
    »Großvater hat das gesagt. Du kannst ihn ja gerne selbst fragen.«
    »Einar!«, rief in diesem Moment die helle Stimme seiner Mutter. Sie stand vor Großvaters Langhaus und winkte.
    Bestimmt sollte er irgendwas helfen. Einar seufzte.»Eigentlich müsste doch außer den Tieren alles an Bord sein!«, sagte Freya. Sie hatten schließlich schon beide kräftig mitgeholfen und bei allem mit anfassen müssen, was nicht zu schwer für sie war.

    Einar setzte Freya sein Bündel vor die Füße. »Hier, pass du mal drauf auf!« Dann rannte er los. Wenig später hatte er seine Mutter Sigrun Björnstochter erreicht. Auch sie war warm angezogen und fertig für die Reise. Sie trug ein bis zum Boden reichendes Kleid und hatte sich einen wollenen Umhang um die Schultern gewickelt. Über dem Kragen baumelte ein kleines Holzkreuz an einem Lederband. Dieses Kreuz war das Zeichen dafür, dass sie an den neuen Christengott glaubte. Sven Bleichhaarund die meisten anderen Wikinger aus Grönland hielten sich dagegen noch an die alten Götter des Nordens.
    »Was ist los, Mama?«, fragte Einar.
    »Du sollst zu Großvater Björn in die Werkstatt kommen. Beeil dich!«
    Einar nickte und machte sich auf den Weg. Die Werkstatt von Großvater Björn lag im hinteren Teil des Langhauses und hatte einen eigenen Eingang. Björn war ein großer, stattlicher Mann mit schneeweißen Haaren und langem Bart.
    »Ah, schön, dass du kommst, Einar.«
    »Was ist,
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