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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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daß Indianer einen ausländischen Wagen fuhren.
    Hanska antwortete: »Yes.«
    »Und wer ist das?«
    »Chief Inya-he-yukan, mein kranker Vater.«
    »Woher habt ihr den Wagen?«
    »Gehört meinem Vater. Geschenk meines Großvaters. Altwagen.«
    »Das kannst du wohl sagen, junger Indianer. Läuft aber noch gut. Papiere?«
    »Nein.«
    »Woher kommt ihr?«
    »Chicago.«
    »Ah. Und wohin?«
    »California.«
    »Warum?«
    »Besserer Verdienst.«
    »Ihr habt ja viel vor. Mit den Weibern?«
    »Mit meiner Frau und meiner Großmutter.«
    »Habt ihr Geld?«
    »O yes, genug bis California.« Hanska zog seine Börse hervor und zeigte so viel von dem Reisegeld, das er mit Stonehorn zusammen mitgenommen hatte, wie er für zweckmäßig hielt.
    »Wieviel Meilen sind erlaubt?«
    »Sechzig die Stunde.«
    »Also fahrt jetzt vernünftig.« Der Beamte, nicht feindselig gestimmt, schien mit Hanskas Antworten zufrieden. Er ging zu seinem Polizeiwagen zurück und fuhr in Richtung Osten weiter. Hanska startete nach Westen zu.
    Ray öffnete den Gepäckraum wieder.
    Es wurde heller Tag. Ite-ska-wih fühlte sich sehr müde. Die Glieder waren ihr und der Großmutter in der unbequemen Lage eingeschlafen. Sie schaute auf Hanskas Hände am Steuer. Er war der einzige, der fahren konnte. Ray hatte es nicht gelernt. Hanska mußte die gesamte Fahrt am Steuer durchhalten. Er schien nicht erschöpft zu sein. Noch immer fuhr er sicher und nun schon wieder mit hoher Geschwindigkeit, wenn auch noch umsichtiger als zuvor. Der Weg war ihm bekannt. In der kommenden Nacht, sagte er, wollte er sein Ziel erreichen. Wenn es die Gegend und die Umstände zuließen, würde er vorher noch eine Pause einlegen.
    Der Wagen befand sich schon in der hoch gelegenen Prärie. Die Fenster waren des Toten wegen offen; der Gegenzug der Luft wehte steif und kalt herein. Ite-ska-wih spürte den Duft, von dem Untschida im Keller wie von einem Märchen erzählt hatte. Zum ersten Mal in ihrem Leben nahmen ihre Lungen reine Luft auf, köstliche, schmeichelnde, aufreizende Luft der Prärie, über die der Wind vom Nordmeer bis in den Süden dahinstrich. Das war Hanskas und Inya-he-yukan Stonehorns Heimat. Hier wurden die Lungen weit und das Blut rot.
    Hanska fuhr von der Straße und hielt. Die Insassen des Wagens konnten aussteigen. Über ihnen wölbte sich der Himmel mit der Pracht der in rotgelbem Feuer sterbenden Sonne, ihre Füße fühlten Gras und Erde; ihre Ohren hörten das Brüllen von Rindern. Sie warfen sich hin, im Kreise um den Toten, der ganz mit Decken verhüllt war. Sie aßen ein wenig von dem Proviant, tranken ein wenig aus der Feldflasche, schauten immer wieder die im Abenddämmer verschwimmenden Wellen der Prärie, die sich hinzogen, bis sie in den Himmel einzuschmelzen schienen, da und dort aufgerissen von Wasser, Sturm, Winterfrost.
    Im Westen, nicht mehr fern, erhob sich ein Gebirgsstock.
    Das Prärieland ringsumher war Viehweide; es sah kaum anders aus, als es die großen Häuptlinge hundert Jahre zuvor noch gesehen hatten, so wild, so ganz es selbst. Da, und dort weidete oder ruhte schwarzes Vieh.
    Ite-ska-wih hatte noch nie freies Land gesehen. Sie wandelte sich wieder auf neue Art. In den schmutzigen, stinkenden Straßen der Stadt war ihr ein Traumbild begegnet, fern allem Bisherigen: Joe Inya-he-yukan Stonehorn und sein Sohn Hanska, ein mythisches Wunder, nicht vereinbar mit Keller und Gasse. Ihr Dasein spaltete sich wie der Baum unter einem leuchtenden Blitzstrahl. Jetzt kam es wieder zusammen, das Träumen und das Erleben. Das Frösteln, der graue Kellerschimmer wich aus dem Gesicht und von den Händen des Mädchens; die Prärie nahm nicht nur ihre Seele, sie begann ihren Körper in Besitz zu nehmen.
    Was webte mit in dem Duft des Märzwindes? Mehr als der Geruch der Wiese; es kam noch ein anderer fremder, des Wunders voller Duft.
    »Das ist der Wald, das sind die Schwarzen Berge«, sagte Hanska, der gesehen hatte, wie sich Ite-ska-wihs Brust dehnte und ihre Nasenflügel sich öffneten wie die von verhoffendem Wild. »Das sind die Kiefern und Tannen, das ist das Holz, das ist das Harz – das sind die Felsen und die Quellen, das ist Wasser, Ite-ska-wih, wie deine Zunge es noch nie geschmeckt und deine Haut es noch nie gefühlt hat. Dahin gehen wir zuerst, zu den Felsen, den Quellen, den Bäumen. Das ist die heilige Heimat meines Volkes, in die wir uns heute einschleichen müssen wie die Diebe. Dort soll Inya-he-yukan ruhen, verborgen in unserer Erde, die ihn
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