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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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seinen ermordeten Wahlvater; dann nahm er Ite-ska-wih, deren Bruder den Toten gerächt hatte, bei der Hand und führte mit ihr zum Schlag der Trommler den langsamen Tanz der Trauernden an. Alle, die im Saal waren, gingen im Kreise mit.
    Als auch das getan war, berieten die Ältesten der Stadtindianer mit Sixkiller, dem Vorsteher im Großen Tipi.
    Noch hatte sich kein Polizist gezeigt. Die Polizisten hielten sich nicht gern in dieser Straße auf. Von selbst würde sicherlich keiner kommen, niemand dachte daran, einen Bullen zu rufen. Wozu auch? Der Tote war gerächt, und die Kumpane des Mörders konnten kaum den Wunsch nach legalen Gerichten hegen.
    Sixkiller und der Rat der Stadtindianer berieten und beschlossen, daß Hanska sagen solle, was der Tote nicht mehr sagen konnte.
    Hanska trat vor; er sprach klar und einfach. Es war kein Zweifel in seinen Worten. Die erbeutete Waffe des Mörders hielt er in der Hand. Ray und Ite-ska-wih standen bei ihm. Wo es um den Kampf des Indianers für Kinder und Kindeskinder ging, konnte die Frau neben dem Manne stehen, und der Mann stand neben der Frau.
    »Er wollte euch rufen, Väter und Brüder«, begann Hanska in englischer Sprache, damit ihn alle verstehen konnten. »Unsere Verträge sind vom weißen Mann gebrochen worden, unser Land ist geraubt bis auf einen kärglichen Rest. Wir stehen auf und verlangen unser Recht. Wir versammeln uns an der Biegung des Flusses, wo einst Big Foot mit Kriegern, Frauen und Kindern niedergemetzelt worden ist. Wir sollten unserer viele sein, damit unsere Stimme Kraft bekommt und gehört wird. Wir brauchen unser Land für Kinder und Kindeskinder; sie sollen besser leben im Land ihrer Väter, als ihr hier leben müßt. Joe Inya-he-yukan Stonehorn King ruft euch. Der Mörder konnte ihn aus dem Hinterhalt töten, aber seine Stimme kann er nicht ersticken. Sie ruft euch. Ich habe gesprochen.«
    Sixkiller trat neben Hanska.
    »Wir haben gehört. Morgen werden wir beraten, wer geht. Jetzt berate ich mit unseren Söhnen Hanska und Ray, mit Untschida und Ite-ska-wih, was sie zu tun haben. Ich habe gesprochen.«
    Hanska und Ray schlugen den Toten in die Decken ein und trugen ihn, wohin Sixkiller sie wies. Untschida und Ite-ska-wih folgten. Sie blieben miteinander und mit dem Toten in einem kleinen Raum ohne Fenster.
    Sixkiller hatte zuerst das Wort.
    »Die Mörder warten draußen auch auf euch, Untschida und meine jungen Freunde. Das ist gewiß. Sage uns, Ray, was vorgegangen ist, damit wir richtig entscheiden können, wie ihr euch verhalten werdet.«
    »Wir gehen mit Hanska«, antwortete Ray, »sofort, heute noch. Ich muß meine Gang verlassen und zu meinem Volk heimkehren; Joe Stonehorn hat mich gerufen. Das Haus drüben steckt voll von den Gangstern, die farbiges Volk nicht lieben. Es war Zufall, daß ich den Mörder allein fassen und gleich wieder verschwinden konnte. Er hatte den Platz gewechselt, um aus einem leeren Raum am günstigsten zum Schuß zu kommen. Aber nun haben sie seine Leiche längst gefunden, und sie wissen, wer allein ihn getötet haben kann.
    Ich bin der Boss meiner Gang und mein Messer ist schnell.« Ray sprach so ruhig, als ob es nicht um ihn selbst gehe, und mit soviel Vertrauen, als stehe er inmitten von Vater, Mutter, Bruder, Schwester.
    »Habt ihr einen Wagen da, Hanska?« fragte Sixkiller.
    »Ja. Bei Freunden.«
    »Es geht also darum, Hanska, wie ihr mit dem Toten zu eurem Wagen gelangen könnt, ohne daß die Killer euch abfangen. Wieviel Platz ist im Wagen? Du kannst Ray, Ite-ska-wih und Untschida nicht hier zurücklassen, das hieße, sie den Killern ausliefern.«
    »Ich am Steuer, Stonehorn neben mir. Der Tote ist nicht tot. Die Frauen auf der Rückbank, eng umschlungen, Ray im Kofferraum. Wir gehören jetzt zusammen. Das ist wahr. In der Waffe sind noch fünf Schuß.« Hanska untersuchte das Spezialgewehr, das Ray ihm gegeben hatte.
    »Ich sehe, der Geist und der Mut Joe Inya-he-yukan Kings sind in dir, Hanska. Ich verlasse das Große Tipi mit euch durch eine geheime Tür und bringe euch mit meinem Wagen zu deinem Wagen. Kannst du mit diesem Ding schießen, Ray?«
    »Ja. Der Kofferraum bleibt etwas offen; ich schieße mit diesem Gewehr auf Verfolger. Gib her.« Ray entlud, lud, legte an, setzte ab.
    Eine halbe Stunde später glitt ein alter Jaguar durch die Straßen. Es war noch immer Tag. Niemand schien auf einen überfüllten Zweisitzer zu achten, auch nicht darauf, daß der hochgewachsene Indianer auf dem Sitz
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