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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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in einer Stimmung, wie sie den Menschen der Wildnis beim ersten Goldzeichen der Morgenröte am nachtgrauen Himmel und beim fernen Grollen in der schwarzlastenden Wetterwolke erfüllen kann. Ite-ska-wih hatte solche Himmelserscheinungen voller Zuversicht und voller Drohung in ihrer Straße nie erleben können. Sie erlebte die überwältigende, zum Verstummen bringende Pracht und die Gefahr, die schauern läßt, ganz in das Menschliche eingeschlossen. Während ihre Füße in der gefährlichen Straße zum Tipi liefen, schaute ihr inneres Auge den Häuptling der Prärie, der zu den Elenden, Verlassenen, vom Gestank der weißen Stadt fast Erstickten kommen wollte, und sie fühlte das Dunkle, das wider ihn heraufzog. Groß und jung war er, kühn, bereit, zu helfen und die Gefahr auf sich zu ziehen. Der Atem der Prärie wehte mit ihm in die Straße herein und in das Große Tipi. Wenn er sprechen würde, sollten es Worte sein, wie sie in dieser Straße und in diesem Tipi noch nie vernommen worden waren. Wenn er den Kriegstanz mit tanzte, so konnte Ite-ska-wih die Augen schließen und hörte doch das schnelle Stampfen seiner Füße, den schrillen Gesang der Trommler und die Trommeln, die im Wirbel geschlagen wurden; sie brauchte die Augen nur zu öffnen, dann sah sie die stolze Gestalt, das braune scharfe Gesicht, den in Gelb und Blau, den Farben von Erde und Himmel gestickten Rock, die Krone aus erbeuteten Adlerfedern.
    Ein neues unbekanntes Leben kam; die alten Mythen wurden Wirklichkeit. Ite-ska-wih hatte heiße Hände. Sie blieb stehen, weil Untschida sie anhielt.
    »Sieh hin. Das ist er. Sein Name ist Stonehorn. Aber neben ihm steht sein Wahlsohn Hanska.«
    Ite-ska-wihs Traumbild war erschienen.
    Ihre Augen öffneten sich weit. Dunst, Gestank und schmutzige Fassaden schwanden für sie; sie schaute Himmel und Wiesen bis zum fernen Horizont. Davor standen der Indianer und sein Sohn, der ihm glich. Die Stadtindianer, die sich in Gruppen in der Nähe der beiden vor dem Großen Tipi eingefunden hatten, waren für Ite-ska-wih nur undeutliche Schemen des Elends.
    Sie hätte später nie zu sagen gewußt, wie lange dieser Augenblick gedauert hatte; er war nach seiner Tiefe zu messen, die keine Grenze hatte, nicht nach der Länge einer Zeit, die von Weißen mit Instrumenten in Teile zerrissen wurde.
    Ite-ska-wihs Bruder Ray stand neben Stonehorn und Hanska. Als das Mädchen ihn erkannte, schüttelte die Freude sie.
    Da gellte ein Schrei Rays, ein gedämpfter Schuß fiel, Stonehorn brach zusammen. Ray war verschwunden, als ob das Pflaster ihn verschluckt habe. Ite-ska-wih und Hanska knieten bei dem Gestürzten. Die Gurgel war durchschossen, die Nackenwirbel waren verletzt. Das Blut sickerte auf die Straße, der Staub wurde rot. Der Sterbende konnte nicht mehr sprechen und den Kopf nicht mehr bewegen. Seine Augen waren noch lebendig. In seinem Blick lag die Klage eines Volkes, sein Großes Geheimnis und seine Kraft, nicht zu ergründen, nicht zu überwinden, und das Vertrauen auf zwei junge Menschen, die seinen Tod mit ihm zusammen erfuhren und ihn aufbewahren würden für ihr ganzes Leben und das ihrer Kinder.
    Die Augen Inya-he-yukan Stonehorns brachen. Er war tot.
    Über die Straße kam Ray zurück. Er hatte eine Schußwaffe in der Hand und gab sie Hanska.
    »Damit hat der Killer geschossen«, sagte er und wies auf ein Fenster im 2. Stock des gegenüberliegenden Hauses. »Er lebt nicht mehr.«
    Ray zeigte Hanska das Messer, mit dem er den Mörder getötet hatte.
    Um den Ermordeten hatte sich ein dichter Kreis der Stadtindianer gebildet. Sie sagten nichts. Was sollten sie sagen? Sie waren ein verlorenes Volk.
    »Bringt Decken«, befahl Untschida. »Damit wir Stonehorn in unser Tipi tragen können, wie es sich gebührt.«
    Das geschah.
    In dem Saal, in dem die Menschen froh miteinander hatten sein wollen, war nun der Tote aufgebahrt. Er lag auf zwei aneinander gerückten Tischen. Ein Toter sollte nicht auf dem Boden liegen. Die Trommler stellten ihre Trommeln auf und schlugen sie mit den Lederklöppeln, so daß die Trauer aus ihnen laut wurde.
    Inya-he-yukan war tot. Auch die Rache konnte sein Leben nicht zurückrufen. Aber noch waren sein Antlitz und seine Hände durchblutet. Unruhe und Spannung schwanden daraus; Wille war noch da.
    Ite-ska-wih erschrak. Ihr war plötzlich gewesen, als ob der Tote neben ihr stehe. Es war aber Hanska in seinem bescheidenen Festrock.
    Er legte die beste der Decken, eine alte Büffelhaut, über
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