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Kelwitts Stern

Kelwitts Stern

Titel: Kelwitts Stern
Autoren: Andreas Eschbach
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1
    Auf einem weit entfernten Planeten, irgendwo nahe des Zentrums unserer Milchstraße, herrscht der Brauch, jedem Neugeborenen einen eigenen Stern am Himmel zu schenken.
    Nun ist die Zahl der am Nachthimmel mit bloßem Auge sichtbaren Sterne geradezu sprichwörtlich beeindruckend – und auf Planeten nahe des dichten Milchstraßenzentrums sogar noch weitaus beeindruckender, als wir das auf der Erde gewöhnt sind -, dennoch braucht eine derartige Sitte selbst diesen Vorrat rasch auf. Nicht rasch genug andererseits, als dass besagter Brauch nicht zur lieben Gewohnheit, zu einer geschätzten Tradition, mit anderen Worten, zu einem ehernen Bestandteil einer Kultur werden könnte. Und weil niemand ausgerechnet bei den eigenen Kindern mit Traditionen brechen will, erfanden die Bewohner des besagten Planeten notgedrungen das Teleskop. Die ersten Teleskope erschlossen eine Vielzahl weiter entfernte Sterne, ausreichend für Generationen, denen wiederum Zeit blieb, weitere, noch größere Teleskope zu entwickeln, und immer so fort. So kam es, dass die Bewohner des Planeten Jombuur nahe des Zentrums unserer Milchstraße die besten Astronomen des gesamten bekannten Universums wurden.
    Natürlich war es nur eine Frage der Zeit, bis auch unsere eigene Sonne an einen neugeborenen Jombuuraner verschenkt wurde.
    Um genau zu sein: das ist noch gar nicht so lange her. 
    Die bleigrauen Wellen manschten träge gegen die Liegefelsen, überspülten sie mit dünnen, schaumigen Strudeln und machten ein gurgelndes Geräusch, wenn sie wieder zurück ins Meer flossen. Ein Geräusch, das irgendwie unanständig nach Verdauung klang, fand Kelwitt. Er lag da, sah den silberglänzenden Strichwolken nach, die den Himmel wie geheimnisvolle Schriftzeichen überzogen, und dachte darüber nach, was ihm einer vom Nachbarschwarm heute Morgen in der Marktmulde erzählt hatte.
    »Und?«, hörte er Parktat fragen. Parktat lag neben ihm. Vorhin hatte er angefangen, die vierzehnte Kontemplation Jamuunis über die Freude des Existierens zu rezitieren, in langen, melodischen Gesängen, und Kelwitt hatte die Ohrenfalten zugedrückt.
    »Oh, ja«, beeilte er sich zu versichern und tat, als habe ihn das alles sehr ergriffen. Wie es ja von einem erwartet wurde, wenn Jamuuni rezitiert wurde. »Sehr beeindruckend.«
    Parktat setzte sich auf. »Das ist keine Antwort.«
    »Antwort?«
    »Ich habe dich etwas gefragt.«
    Oh. Erwischt. Das hatte er nicht mitbekommen. »Ach so. Hmm. Tut mir leid. Ich fürchte, ich war so entrückt von Jamuunis Worten, dass mir das völlig entgangen ist.«
    Parktat ächzte nur. Er glaubte ihm kein Wort. »Ich habe dich gefragt, ob du endlich weißt, was du nach der Großjährigkeit machen willst.«
    »Ach so, das.« Kelwitt machte die Geste des Überdrusses. »Nein, keine Ahnung.«
    »Hast du über das Angebot nachgedacht, zu den Lederhäuten zu gehen?«
    Kelwitt wandte den Kopf ab. »Nein.«
    »Das solltest du aber. Ich an deiner Stelle …«
    »Du bist aber nicht an meiner Stelle.«
    »Kelwitt! Immerhin bin ich einer deiner Brüter. Da werde ich mir ein paar Gedanken über deine Zukunft machen dürfen. Und das Angebot der Lederhäute klingt nicht schlecht.«
    »Zu den Lederhäuten? Nach zehn Sonnenumläufen eine Haut zu haben wie ein Greis? Nein danke. Und überhaupt, ich kann die Berge nicht ausstehen.«
    Parktat stieß tadelnde Pfiffe aus. »Wenn du immerhin schon mal weißt, was du nicht willst, wäre das auch schon ein Fortschritt. Dann ist klar, dass du zu einem der Schwärme gehen musst, die an der Küste leben.«
    »Hmm. Toll. Mein Leben lang Meergras ernten. Oder Grundschleimer fangen. Wirklich toll.«
    »Oh, Jamuuni! Du weißt aber auch nicht, was du willst.«
    »Nein, zum Dunkelgrund, ich weiß es nicht! Ich weiß nicht, was das Beste für mich ist! Woher denn auch?« Das abfließende Wasser gurgelte und röhrte besonders unanständig, während Kelwitt damit herausplatzte.
    Eine Weile schwiegen sie. Kelwitt sah wieder den Wolken nach und wünschte sich, ihre Schrift entziffern zu können.
    »Du könntest mit einem der Jungen von den Nachbarschwärmen tauschen«, schlug Parktat schließlich vor. »Das ist vielleicht das Beste für den Anfang. Die triffst du doch immer in der Marktmulde, da müsst ihr doch auch über dieses Thema sprechen, oder?«
    Vielleicht war es das Beste, nicht lange mit dem herumzumachen, was ihn seit heute Morgen beschäftigte. »Ja«, sagte Kelwitt. »Tun wir.«
    »Und? Was haben die anderen vor?«
    »Sie
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