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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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auch. Sie haben eine Treppe bis in die Tiefe gebaut und nehmen Geld, wenn sie den Touristen den Anfang der Höhle und einen kleinen Teich zeigen, an dem weiße Molche leben. Doch sie sind nie in der Höhle in die Höhe gestiegen. Was nicht genug Geld bringt, tun sie nicht. Aber mein Wahlvater Inya-he-yukan kannte den oberen Eingang, vor dem wir stehen. Er hat mir die Geheimnisse gezeigt, die ihn jetzt in ihren Schutz aufnehmen werden. Die Höhle ist gewaltig. Zu Zeiten unserer Ahnen hat hier noch die Große Bärin gewohnt. Ihr Geist wird über dem toten Häuptling Inya-he-yukan wachen.«
    Hanska und Ray trafen ihre Vorbereitungen. Hanska stieg als erster ein und trug den in die Büffelhautdecke fest verschnürten Toten am Kopfende; Ray folgte, mühsam das Fußende haltend. Als dritte kam Ite-ska-wih mit; sie hatte die Hände frei und sicherte Ray an einem ledernen Lasso. Die beiden jungen Männer trauten ihr viel zu.
    Untschida blieb am Eingang, den sie mit dem kleineren Stein vorläufig wieder verschloß. Sie hielt Wache.
    Das Lassoende war Ite-ska-wih unter den Armen um die Brust geschlungen. Sie war ganz ungeübt, aber geschickt und ohne Furcht. Mit Händen und Füßen stemmte sie sich von einem kleinen Halt zum anderen; Hanska gab Anweisungen an besonders schwierigen Stellen. Sehen konnte man nichts. Nach einer lang erscheinenden Zeit wurde der Höhlengang ebener, etwas weiter, leichter zu begehen.
    »Wundert euch nicht«, erklärte Hanska. »Hier liegen sehr alte Knochen aus der Beute der Großen Bärin. Sie sind noch immer nicht verwest.«
    Ite-ska-wihs Füße in den Mokassins tasteten vorsichtig. Die drei ruhten aus, damit das Mädchen leichter Atem schöpfen konnte. Zwar war es so dunkel, daß sie einander nicht sahen, aber Hanska hatte jetzt, in der Sicherheit und Stille des Berginnern, Ite-ska-wihs hastigen Atem gehört.
    »Hier«, sagte er, »hier, wo wir nun mit Inya-he-yukan, dem Toten, und seinem Geiste sind, hat einst unser Ahne, Inya-he-yukan der Alte, Rücken an Rücken mit der Großen Bärin geschlafen, ehe er zu seinen Zelten heimkehrte.«
    Ite-ska-wih fühlte sich eingezaubert in die Mythen, in die Geschichte und in das Land ihres Volkes, als habe sie immer dazu gehört. Vor der Straße hatte sie Angst gehabt, aber im Berg, in der Finsternis und bei den Gebeinen war sie ruhig mit Hanska und Ray und dem Geiste Inya-he-yukan Stonehorns.
    Die drei wanderten mit dem Toten weiter.
    Die kaum vernehmbaren Geräusche, die ihre Schritte verursachten, gewannen eine andere Klangfarbe. Die Luft veränderte sich; sie wurde frostig. Die Füße spürten noch den Felsboden; aber die Hände suchten nach Halt.
    Hanska rief: »Inya – – hee – – yukaan!«
    Der Fels rief zurück: »… yukaan!«
    Eine mächtige Felshalle befand sich inmitten der verborgenen Höhlengänge. Hanska tastete und rief sich mit Ray und Ite-ska-wih zur Mitte des Höhlenraumes voran.
    »Ich suche sie jetzt«, sagte er in einem Ton, der benommen klang. »Sie muß noch immer dasein.« Er ging umher. Dabei sprach er beschwörend vor sich hin, Ite-ska-wih und Ray beteten miteinander. Es war gut, wenn man einander vernahm, denn sehen konnte ja keiner den andern.
    »Hier«, sprach Hanska endlich lauter, so daß seine Stimme wieder im Raume hallte. »Hier. Sie ist dageblieben, seit sie starb und seit ich sie mit meinem Wahlvater Inya-he-yukan Stonehorn besuchen durfte.«
    Er rief Ray und Ite-ska-wih heran. Mit Glück und Schauer fühlten sie das weiche lockige Fell eines ungeheuren Tieres.
    »Laßt uns ihr ein Lied singen.«
    Hanska sang ein Bärenlied, das Lied vom Leben und Sterben der Großen Bärin, die ein weißer Mann mit der Kugel verwundet hatte, die in ihren Berg gekommen war, um zu sterben, ehe die weißen Männer sie mit ihren Messern schlachteten und sie häuteten und sie fraßen und ihr Junges töteten. Sterbend war sie Inya-he-yukan dem Alten begegnet und hatte ihm ihr Junges gegeben, das er auf seine Schulter nahm, damit es weiter lebe. Unterpfand für das Leben der Söhne und Töchter der Großen Bärin. Nach der Art der roten Männer sang Hanska das Lied oft und oft, und er hatte Ray und. Ite-ska-wih erklärt, was er sang. Sie verstanden seine Sprache nicht, aber die Laute nahmen sie auf und sangen endlich mit Hanska zusammen das Gedenklied für die Große Bärin, für Inya-he-yukan den Alten und für Inya-he-yukan den Jungen, Hanskas Wahlvater, der im Tode zu der Großen Bärin heimgekehrt war.
    Der Gesang füllte die
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